Mehr-/Mindermengenabrechnung im Strommarkt: Ausgleichsenergie, Bilanzkreise und Prozesse
Die Mehr-/Mindermengenabrechnung im Strommarkt gleicht Differenzen zwischen prognostiziertem und tatsächlichem Energieverbrauch aus. Dieser Prozess ist zentral für die finanzielle Abwicklung im Energiemarkt und involviert Netzbetreiber, Lieferanten, Bilanzkreisverantwortliche und Messstellenbetreiber.
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Kontext:
Die Mehr-/Mindermengenabrechnung ist ein wesentlicher Bestandteil des Bilanzkreismanagements und der Ausgleichsenergie im deutschen Strommarkt. Sie dient dazu, Differenzen zwischen prognostiziertem und tatsächlichem Energieverbrauch in einem Bilanzkreis auszugleichen. Ein Bilanzkreis ist eine virtuelle Energiemenge, für die ein Bilanzkreisverantwortlicher (BKV) die Verantwortung trägt. Abweichungen von der Prognose führen zu Mehr- oder Mindermengen, die finanziell abgerechnet werden. Die Kosten für die Beschaffung oder den Verkauf dieser Ausgleichsenergie werden an die Verursacher (i.d.R. Lieferanten oder BKV) weitergegeben. Relevante Grundlagen sind die Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV), die Geschäftsprozesse GPKE/WiM und die Festlegungen der Bundesnetzagentur (BNetzA), insbesondere die MaKo 2020. Die Marktkommunikation erfolgt über standardisierte EDIFACT-Nachrichten. Die Prozesse und Verantwortlichkeiten sind klar definiert, um einen transparenten und effizienten Ausgleich von Energieungleichgewichten zu gewährleisten. Eine hohe Prognosegüte ist für Lieferanten essentiell, um die Kosten für Ausgleichsenergie zu minimieren. Ausgleichsenergie ist eine Form der Systemdienstleistung, die zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität erbracht wird. Die Preise für Ausgleichsenergie werden von den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) ermittelt und veröffentlicht. Die Abrechnung der Mehr-/Mindermengen erfolgt zwischen dem Netzbetreiber (NB) und dem Bilanzkreisverantwortlichen (BKV).
Antwort:
Der Prozess der Mehr-/Mindermengenabrechnung umfasst mehrere Phasen: 1. **Prognose:** Der Lieferant (oder BKV) prognostiziert den Energiebedarf für seinen Bilanzkreis und meldet diese Prognose dem Netzbetreiber. 2. **Messung:** Der Messstellenbetreiber (MSB) misst den tatsächlichen Verbrauch und übermittelt die Daten (MSCONS) an den Netzbetreiber (NB). 3. **Datenweiterleitung:** Der Netzbetreiber leitet die MSCONS-Daten an den Lieferanten (oder BKV) weiter. 4. **Ermittlung der Mehr-/Mindermengen:** Der Netzbetreiber vergleicht die Prognose des Lieferanten (oder BKV) mit den Ist-Werten und ermittelt die Mehr-/Mindermengen. 5. **Übermittlung der Mehr-/Mindermengen (SSQNOT):** Der Netzbetreiber übermittelt die detaillierten Mehr-/Mindermengen-Daten (aggregiert nach Bilanzkreis und Zeitscheiben) an den Lieferanten (oder BKV) mittels einer SSQNOT-Nachricht. Diese Nachricht enthält die detaillierte Aufschlüsselung der Mehr-/Mindermengen, bevor sie in der Netznutzungsrechnung (INVOIC) fakturiert werden. 6. **Bewertung und Fakturierung (INVOIC):** Die Mehr-/Mindermengen werden zu spezifischen Preisen bewertet (basierend auf den Ausgleichsenergiepreisen) und dem Lieferanten (oder BKV) in der Netznutzungsrechnung (INVOIC) in Rechnung gestellt. 7. **Rechnungsprüfung und Klärung:** Der Lieferant (oder BKV) prüft die Rechnung und gleicht sie mit seinen Daten (insbesondere den SSQNOT-Daten) ab. Bei Abweichungen erfolgt eine Klärung mit dem Netzbetreiber. **Beispiel für SLP-Kunde:** Ein Haushalt hat ein Standardlastprofil (SLP), das einen Stromverbrauch von 300 kWh pro Monat vorhersagt. Am Ende des Monats zeigt der Zähler aber 320 kWh an (Mehrmenge) oder nur 280 kWh (Mindermenge). Der Netzbetreiber gleicht diese Differenz von 20 kWh aus, als hätte er diesen Strom selbst geliefert bzw. abgenommen. Der Stromlieferant muss diese Differenz dem Netzbetreiber vergüten. **Beispiel für RLM-Kunde:** Ein großes Industrieunternehmen plant für den nächsten Tag eine Produktion, die 1.000 kWh pro 15-Minuten-Intervall benötigt. Unvorhergesehen kommt es zu einem Maschinenausfall, und der Verbrauch sinkt für mehrere Stunden auf 200 kWh pro Intervall. Diese deutliche Abweichung von der Prognose führt zu einer erheblichen Mindermenge im Bilanzkreis des Lieferanten. Der Lieferant muss die zu viel eingekaufte Energie (die nun eine Mindermenge darstellt) zum Ausgleichsenergiepreis an den ÜNB zurückverkaufen.
Zusätzliche Informationen:
Eine frühzeitige Information über Verbrauchsänderungen (z.B. durch Installation einer PV-Anlage) ist für den Lieferanten (oder BKV) essentiell, um Mehr-/Mindermengen zu minimieren. Gemäß § 13 Abs. 1 StromNZV kann der Lieferant die Jahresverbrauchsprognose des Netzbetreibers anpassen lassen. Bei PV-Anlagen mit Eigenverbrauch und intelligenten Messsystemen ist gemäß § 12 Abs. 5 StromNZV eine Umstellung von Standardlastprofilen (SLP) auf registrierende Leistungsmessung (RLM) erforderlich. Dies ermöglicht eine präzisere Erfassung des tatsächlichen Verbrauchs und reduziert die Notwendigkeit von Schätzungen. Die Abrechnung von Jahresmehr- und Jahresmindermengen nach § 13 StromNZV stellt eine spezifische, oft jährliche, finanzielle Nachbetrachtung dar, die auf den über das Jahr akkumulierten Abweichungen basiert. § 13 Abs. 2 StromNZV regelt, dass der Netzbetreiber Mehr-/Mindermengen bei SLP-Kunden so behandelt, als hätte er sie selbst geliefert/abgenommen und diese mit dem Lieferanten abrechnet. § 13 Abs. 3 StromNZV definiert die Abrechnung von ungewollten Mehr- und Mindermengen und legt fest, dass der Preis auf den durchschnittlichen monatlichen Marktpreisen basiert, die der Netzbetreiber öffentlich bekannt geben muss. Die Netzbetreiber müssen die Preise für Mehr-/Mindermengen transparent auf ihren Websites veröffentlichen. Relevante EDIFACT-Nachrichten sind MSCONS (Metered Services Consumption Report), SSQNOT (Settlement Sequence Notification), INVOIC (Invoice), REMADV (Remittance Advice) und UTILMD (Utilities Master Data). Die GPKE (Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität) und WiM (Wechselprozesse im Messwesen) definieren die standardisierten Geschäftsprozesse und Datenformate für die Marktkommunikation.
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