Technische Unterschiede: H0 (1999) vs. H25 (2025)
Datengrundlage und Methodik
H0 (VDEW 1999):
- Basiert auf 1.209 Lastgangmessungen aus den Jahren 1981-1997
- Erhebung durch analoge Ferrariszähler
- Regionale Stichproben ohne flächendeckende Abdeckung
H25 (BDEW 2025):
- Basiert auf Bilanzierungsdaten von 62 Verteilnetzbetreibern aus 2018/2019
- Nutzung digitaler Mess- und Abrechnungssysteme
- Bundesweite, repräsentative Datenbasis
- Verfeinerte statistische Methodik mit Ausreißerbereinigung
Zeitliche Granularität
H0: 3 Jahreszeiten × 3 Tagestypen = 9 Basisprofile
- Winter: 01.11. - 20.03.
- Sommer: 15.05. - 14.09.
- Übergang: 21.03. - 14.05. und 15.09. - 31.10.
H25: 12 Monate × 3 Tagestypen = 36 Typtag-Profile
- Monatsscharfe Differenzierung eliminiert künstliche Sprünge
- Präzisere Abbildung saisonaler Übergänge
- Bessere Erfassung von Heizlasten im Frühjahr und Herbst
Feiertagsbehandlung
H0: Generischer Feiertagskalender ohne Bundesland-Differenzierung
H25: Bundeslandspezifischer Feiertagskalender nach BDEW-Definition
- Fronleichnam in NRW, Bayern, etc. → Sonntagsprofil
- Reformationstag in Brandenburg, Bremen, etc. → Sonntagsprofil
- 24.12. und 31.12.: Samstagsprofil (wenn nicht auf Sonntag)
Lastgangcharakteristik
Wesentliche Verschiebungen bei H25:
- Verflachte Spitzen: 5-10% niedrigere Spitzen durch LED-Beleuchtung
- Erhöhte Grundlast: +15-20% durch Standby-Verbrauch (Smart-Home, Router, Streaming)
- Homeoffice-Effekt: Höherer Mittagsverbrauch (+8-12%)
- Zeitverschiebung: Abendspitze verschiebt sich von 19:00 auf 19:30-20:00 Uhr
Regulatorische Grundlagen für Standardlastprofile
StromNZV §12: Die zentrale rechtliche Grundlage
§ 12 StromNZV bildet die zentrale rechtliche Grundlage für die Anwendung von Standardlastprofilen. Er regelt:
- Anwendungsbereich: Kunden mit Jahresverbrauch bis 100.000 kWh
- Profilzuordnung: Netzbetreiber ordnen Kunden einem Lastprofil zu
- Vereinfachung: Kein Echtzeit-Messung, sondern Profilschätzung
- Jahresabgleich: Korrektur basierend auf tatsächlichem Zählerstand
Die Einführung neuer Profile wie H25 ist eine Weiterentwicklung dieser standardisierten Vorgehensweise.
GPKE-Bezüge: Geschäftsprozesse und Datenformate
Während die StromNZV das was und wer regelt, definiert die GPKE die Geschäftsprozesse das wie:
- Standardisierte Prozesse: Zuweisung, Änderung und Abrechnung von Lastprofilen
- Datenaustausch: Lieferantenwechsel, Stammdatenänderungen
- EDIFACT-Integration: UTILMD für Stammdaten, MSCONS für Messwerte
- Einheitlichkeit: Marktpartner kommunizieren GPKE-konform
Zusammenhang mit Marktkommunikation: UTILMD und MSCONS
Standardlastprofile sind eng mit der Marktkommunikation verknüpft. Die zentralen EDIFACT-Nachrichtenformate:
UTILMD (Utility Master Data)
UTILMD wird verwendet, um:
- Profildaten zu übermitteln: Wenn sich das zugeordnete Lastprofil eines Kunden ändert (z.B. H0 → H25), wird diese Information über UTILMD vom Netzbetreiber an den Lieferanten kommuniziert
- Prozessmeldungen zu steuern: Bei einem Lieferantenwechsel mit SLP-Abrechnung werden Prozessschritte über UTILMD abgewickelt (z.B. A11 für Anmeldung)
- Stammdaten zu synchronisieren: UTILMD gewährleistet, dass alle Marktpartner über aktuelle Lastprofilzuordnung informiert sind
MSCONS (Metered Services Consumption Report)
MSCONS übermittelt:
- SLP-basierte Verbrauchswerte: Auf dem Standardlastprofil basierende Verbrauchswerte für Abrechnung und Bilanzierung
- Profilinformationen: Übertragung normierter Profile (BGM 1001 Z06) oder Profilscharen (BGM 1001 Z16)
- Fristen: Übermittlung spätestens zum 10. Werktag des Folgemonats
Der reibungslose Austausch dieser EDIFACT-Nachrichten ist entscheidend für die korrekte Abwicklung der GPKE-Geschäftsprozesse.
Der Umstellungsprozess für Netzbetreiber
Die Implementierung der neuen BDEW-Profile ist nicht verpflichtend. § 12 Abs. 1 StromNZV schreibt lediglich die Verwendung von Standardlastprofilen vor, nicht deren konkrete Ausgestaltung.
Phase 1: Profilvalidierung und Testphase
Entscheidung für Pilotierung:
Der Netzbetreiber führt eine retrospektive Analyse durch:
- Historische Bilanzkreisauswertung: Vergleich tatsächlicher Abweichungen mit H25-Simulation
- Kundenstrukturanalyse: Anzahl H0-Kunden, PV-Haushalte, regionale Besonderheiten
- Kosten-Nutzen-Rechnung: Erwartete Ausgleichsenergie-Reduktion vs. IT-Kosten
Empfohlener Testzeitraum: 6-12 Monate Parallelberechnung (Shadowrun)
Phase 2: IT-Systemanpassung
Betroffene Systeme:
- Bilanzierungssoftware: Import der 36 Typtag-Profile, Dynamisierungsalgorithmen
- Abrechnungssystem: Integration neuer Profilcodes (H25, G25, L25, P25, S25)
- Marktkommunikations-Gateway: UTILMD-Versand mit neuen Profilcodes
- Kundendatenverwaltung: Historisierung der Profilzuordnung
Phase 3: Marktkommunikation mit Marktpartnern
PRICAT – Preiskatalog-Nachricht:
Versand aktualisierter Preisblätter per PRICAT an alle Lieferanten:
- Gültigkeitsbeginn der neuen Preise
- Komplette Artikel-ID-Struktur
- Preise pro Artikel
UTILMD – Stammdatenmeldung:
Für jede Marktlokation mit Profilwechsel: UTILMD mit Transaktionsgrund E01 (Stammdatenänderung)
Kritischer Zeitplan:
- T-90 Tage: Ankündigung der Umstellung
- T-30 Tage: PRICAT-Versand mit neuen Preisblättern
- T-14 Tage: UTILMD-Versand für Massenstammdatenänderung
- T-0 Tag: Go-Live der neuen Profile
Phase 4: Parallelbetrieb und Monitoring
Key Performance Indicators (KPIs):
- Bilanzkreisabweichung: Δ zwischen Prognose und Ist
- Ausgleichsenergiekosten: Vergleich H0 vs. H25
- Prognosegenauigkeit: Mean Absolute Percentage Error (MAPE)
- IT-Stabilität: Anzahl UTILMD-Fehler
UTILMD-Marktkommunikation: Technische Details
Struktur der UTILMD bei Profilwechsel
BGM-Segment: Dokumentenkennung
- E01 = Stammdatenänderung (bei Profilwechsel)
- E03 = Neuanlage Marktlokation (bei Neuanschluss mit H25)
SG7 – Zählpunktattribute (kritisch für Profile)
CAV-Segment: Charakteristik (Lastprofil)
CAV+Z02+H25D::89'
Bedeutung:
- Z02 = Zählpunktcharakteristik
- H25D = Netzbetreiber-spezifischer Profilcode (H25 dynamisiert)
- 89 = Codelistenverantwortlicher = Netzbetreiber
DTM-Segment: Gültigkeitsdatum
Kritisch für Massenumstellungen:
DTM+157:20260101:102'
- 157 = Gültigkeitsbeginn
- 20260101 = 01.01.2026
Der Netzbetreiber muss sicherstellen, dass das Gültigkeitsdatum mit dem Preisblatt-Gültigkeitsbeginn übereinstimmt!
Reaktionsfrist und Zustimmungsfiktion
Nach GPKE 1.4.2 hat der Lieferant drei Werktage zur Reaktion:
- Zustimmung: CONTRL mit ACK
- Ablehnung: CONTRL mit REJ (muss begründet werden)
- Keine Reaktion: Nach drei Werktagen gilt die Änderung als zugestimmt (Zustimmungsfiktion)
Praktische Implikationen für Marktakteure
Für Verteilnetzbetreiber
Strategische Entscheidung:
- Wann erfolgt die Umstellung? (2025, 2026, später?)
- Welche Profile werden eingeführt?
- Schrittweise oder Big-Bang-Umstellung?
Sofortmaßnahmen:
- Profilvalidierung: Retrospektive Analyse
- Kosten-Nutzen-Rechnung
- Kundenstruktur-Analyse (H0-Kunden, PV-Haushalte)
- IT-Readiness-Check
Für Stromlieferanten
Prognosemanagement:
- Update der Lastprognose-Software: Integration H25-Zeitreihen
- Parameteranpassung: Dynamisierungskoeffizienten aktualisieren
- P25/S25-Implementierung: Essentiell für Portfolio-Steuerung
- Bilanzkreismanagement: Neuberechnung der Fahrpläne
Kundenkommunikation:
- Proaktive Information 6 Wochen vor Umstellung
- FAQ: "Was ist H25? Muss ich etwas tun?"
- Keine Mehrkosten für Endkunden
Für Messstellenbetreiber
Operative Anpassungen:
- Stammdatenpflege: Profilzuordnung aktualisieren
- MSCONS-Anpassung: Profilwert-Übermittlung für neue Profile
- Smart-Meter-Rollout: P25/S25 erfordern teilweise iMSys
Besonderheit P25/S25:
Nach § 12 Abs. 5 StromNZV dürfen Kunden mit PV und iMSys nicht über SLP bilanziert werden.
Warum die Profile aktualisiert werden mussten
Die VDEW-Profile von 1999 basierten auf Lastgangmessungen aus 1981-1997. In 26 Jahren hat sich das Verbrauchsverhalten fundamental verändert:
Gesellschaftliche Transformation
Arbeitswelt:
- Homeoffice-Revolution: 5% → 25-30% der Arbeitstage
- Verlagerte Mittagslast in Privathaushalte
- Flexibilisierte Arbeitszeiten
Gerätetechnik:
- LED-Beleuchtung: 80% weniger Verbrauch
- Energieeffizienzklassen: A+++ verbraucht 70% weniger
- Aber: Geräteproliferation (Streaming, Smart-Home)
Energiewirtschaftliche Veränderungen
Prosumer-Explosion:
- 1999: ~50.000 PV-Anlagen mit 70 MW
- 2024: ~3,7 Millionen PV-Anlagen mit 88 GW
- Eigenverbrauch verändert Netzbezugsprofil fundamental
Elektrifizierung:
- ~1,4 Millionen Elektrofahrzeuge (2024)
- ~1,5 Millionen Wärmepumpen
- Wachsende Kühllasten durch Klimatisierung
Praktische Konsequenzen veralteter Profile
Bilanzierungsabweichungen:
- Differenz zwischen prognostiziertem und tatsächlichem Verbrauch stieg
- Ausgleichsenergiekosten +10-15% gegenüber optimalem Profil
- Kritisch bei hohem Prosumer-Anteil
Häufige Missverständnisse zu H25
Missverständnis 1: "Ab 2026 muss jeder H25 nutzen"
Korrektur: Es gibt keine regulatorische Umstellungspflicht. Netzbetreiber entscheiden individuell.
Missverständnis 2: "Die Umstellung kostet Endkunden Geld"
Korrektur: Endkunden zahlen nur ihren tatsächlich gemessenen Jahresverbrauch. H25 vs. H0 hat null Einfluss auf die Stromrechnung.
Missverständnis 3: "P25/S25 sind Varianten von H25"
Korrektur: P25 und S25 sind eigenständige Profile für bidirektionale Energieflüsse, keine H25-Untervarianten.
Missverständnis 4: "Netzbetreiber müssen Preise ändern bei H25"
Korrektur: Netzentgelte sind lastprofilunabhängig. Ein Haushaltskunde zahlt identische Netzentgelte.