BNetzA-Diskussionspapiere und Verfahrensstand
Diskussionspapier vom 12. Mai 2025
Die BNetzA veröffentlichte das zentrale Diskussionspapier zur Allgemeinen Netzentgeltsystematik Strom (Verfahrensnummer GBK-25-01-1#3) mit sechs Hauptthemen:
- Einspeiseentgelte
- Baukostenzuschüsse für Einspeiser
- Neue Preiselemente (Grund-, Kapazitäts-, Arbeitspreis)
- Dynamische Netzentgelte
- Speicherentgelte
- Bundeseinheitliche VNB-Netzentgelte
Die Konsultationsfrist endete am 30. Juni 2025 mit über 100 Stellungnahmen von Verbänden, Unternehmen und Stakeholdern.
Diskussionspapier Industrienetzentgelte (24. September 2025)
Ein zweites Papier widmet sich spezifisch Industrienetzentgeltreduzierungen und präsentiert drei Regelungsvorschläge:
- Marktorientierte Flexibilität: Rabatte bei Mehrverbrauch in Niedrigpreisphasen
- Netzdienliche Flexibilität: Anreize für Speichernutzung
- Direkte Steuerbarkeit: Rabatte für Netzbetreiberzugriff
Dies ist ein deutlicher Bruch mit der bisherigen 7.000-Stunden-Regelung des §19 StromNEV.
Zeitplan: Von der Konsultation zur Umsetzung
Der AGNES-Zeitplan folgt einem straffen Fahrplan:
2025: Konsultation und Dialog
- ✅ 12. Mai 2025: Veröffentlichung Diskussionspapier
- ✅ 2./3. Juni 2025: AGNES-Workshop in Bonn (150 Teilnehmer vor Ort)
- ✅ 30. Juni 2025: Ende der Konsultationsphase
- ✅ 24. September 2025: Diskussionspapier Industrienetzentgelte
- 🔄 Zweites Halbjahr 2025: Weitere Expertenworkshops
2026: Konkretisierung
- 📅 Q1 2026: Konkretisiertes Eckpunktepapier
- 📅 Mitte 2026: Festlegungsentwurf
- 📅 Ende 2026: Finale Festlegung
2027-2028: Umsetzungsphase
Zwei Jahre für:
- IT-Systemanpassungen
- Prozessänderungen
- Organisatorische Umstrukturierung
- Mitarbeiterschulung
- Kundenkommunikation
1. Januar 2029: Inkrafttreten
Verbindlicher Start von AGNES – zeitgleich mit dem Außerkrafttreten der StromNEV. Der begleitende Smart-Meter-Rollout muss bis Ende 2030 95 Prozent der Pflichtfälle erreichen.
Auswirkungen auf Netzbetreiber
Verteilnetzbetreiber (VNB)
VNB stehen vor fundamentalen Herausforderungen:
Neue Anforderungen:
- Netzorientierte Steuerung wird ab 2029 verpflichtend
- Steuerung basierend auf Echtzeitdaten und Netzzustandsermittlung
- Smart Meter Gateway Administration (technisch und administrativ)
Finanzielle Aspekte:
- ✅ Ausgleichsmechanismen: Betreiber mit starker EE-Integration erhalten Ausgleich für Mehrkosten
- ✅ Mögliche Einspeiseentgelte zur Verbreiterung der Finanzierungsbasis
- ⚠️ Reduzierte Erlöse durch individuelle Netzentgelte und Sonderregelungen
Herausforderungen:
- IT-Investitionen im dreistelligen Millionenbereich für größere Stadtwerke
- Personelle Aufstockung für Smart Metering und Netzsteuerung
- Erheblich steigende Komplexität der Abrechnungssysteme
Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB)
ÜNB fungieren als zentrale Koordinatoren:
- Ausgleich entgangener Erlöse der VNB untereinander
- Verteilung der Kosten als „Aufschlag für besondere Netznutzung" auf Netzentgelte (ersetzt ab 2025 die §19 StromNEV-Umlage)
- Zentrale Rolle bei bundesweiter Netzsteuerung
Aktueller Stand:
- ÜNB-Netzentgelte wurden bereits 2023 vereinheitlicht
- EE-Netzkostenverteilung verteilt ab 2025 2,4 Milliarden Euro um
- Aufschlag von 1,56 ct/kWh für besondere Netznutzung
Auswirkungen auf Anlagenbetreiber
PV- und EE-Anlagen über 7 kW
Neue Belastung:
- Erstmalige Belastung durch Einspeiseentgelte ab 2029
- Neue Beteiligung an Netzkosten
Reaktionen:
- Massive Proteste der PV-Branche
- Petitionen gegen „Bestrafung" der Einspeisung
- Investitionsunsicherheit
Positive Aspekte:
- Schnellere Netzanbindung durch flexible Netzanschlussvereinbarungen
Batteriespeicherbetreiber
Existenzielle Bedrohung:
- ⚠️ Netzentgeltbefreiung endet August 2029
- Industrie warnt vor Unwirtschaftlichkeit und Investitionsstopp
- Risiko der Doppelbelastung (Laden + Entnahme)
Batteriespeicher-Allianz:
- Im Juli 2025 gegründet aus 20 Unternehmen
- Fordert Verlängerung der Befreiung bis mindestens 2034
- Warnung: „Leistungspreis würde Ende der marktgetriebenen Speichererweiterung bedeuten"
§14a EnWG-Anlagen (Wärmepumpen, Wallboxen)
Anreize durch reduzierte Netzentgelte bei Akzeptanz netzorientierter Steuerung:
| Modul | Rabatt | Bedingung |
|---|
| Modul 1 | 110-190 € brutto/Jahr | Pauschaler Rabatt |
| Modul 2 | 60% Arbeitspreis-Reduzierung | Separater Zählpunkt |
| Modul 3 | Variabel | Zeitvariable Netzentgelte (ab April 2025) |
- Neuanlagen: Regelungen gelten sofort
- Bestandsanlagen: Übergangszeit bis Ende 2028
Auswirkungen auf Endkunden
Haushaltskunden
Strukturelle Verschiebung:
- Netzentgeltstruktur verschiebt sich von Arbeits- zu Grundpreis
- Stärkere Gewichtung pauschaler Komponenten
- Dynamische Tarife ab 2025 für Smart-Meter-Kunden verpflichtend
Kosten:
- Netzkosten steigen von circa 30 Mrd. € (aktuell) auf über 70 Mrd. € (2045)
- Smart Meter Pflicht für Verbraucher über 6.000 kWh/Jahr
- Kosten für Smart Meter auf 20 €/Jahr für normale Haushalte gedeckelt
Chancen:
- Preissignale zur Lastverschiebung
- Potenzielle Kosteneinsparungen durch flexibles Verbrauchsverhalten
Gewerbe und Industrie
Fundamentaler Wandel bei Industrienetzentgelten:
- §19 StromNEV-Reform wird in AGNES integriert
- Leistungspreis könnte durch Kapazitätspreis ersetzt werden
- Anreize für netzdienliches Verhalten und Lastmanagement
Paradigmenwechsel:
- Weg von der bisherigen 7.000-Stunden-Bandlastregelung
- Hin zu Flexibilität und netzdienlichem Verhalten
Die großen Kontroversen
Die AGNES-Reform spaltet die Energiebranche in fundamentalen Fragen. Was auf den ersten Blick wie technische Details der Netzentgeltberechnung erscheint, entscheidet über Investitionen in Milliardenhöhe, über die Wirtschaftlichkeit ganzer Geschäftsmodelle und letztlich über das Gelingen der Energiewende. Drei Konfliktlinien dominieren die Debatte.
1. Einspeiseentgelte – Der Hauptkonflikt
Einspeiseentgelte sind der meistkontroverse Aspekt der gesamten Reform. Die BNetzA diskutiert drei grundsätzlich verschiedene Modelle mit dramatisch unterschiedlichen finanziellen Auswirkungen:
| Modell | Umfang | Betrag |
|---|
| Paritätische Kostenbeteiligung | Hälftige Aufteilung | ~16,5 Mrd. € für Einspeiser |
| Systemdienstleistungskosten | Redispatch, Regelleistung, Netzreserve | ~7,3 Mrd. € |
| Netzintegrationskosten | Nur EE-bedingte Integrationskosten | ~2,4 Mrd. € |
Die Spanne reicht von 2,4 bis 16,5 Milliarden Euro – eine Größenordnung, die verdeutlicht, welche finanziellen Interessen auf dem Spiel stehen. Die Ausgestaltung könnte als Arbeitspreis (€/kWh), Leistungspreis (€/kW), Kapazitätspreis oder Grundpreis erfolgen, mit jeweils unterschiedlichen Anreizwirkungen.
BNetzA-Präsident Klaus Müller und die Befürworter argumentieren mit drei Hauptargumenten: Erstens die Verbreiterung der Finanzierungsbasis – bei 360 Milliarden Euro Investitionsbedarf bis 2045 und gleichzeitig sinkender Stromnachfrage durch Effizienzgewinne drohe eine Finanzierungslücke, wenn nur Verbraucher zur Kasse gebeten werden. Zweitens die Verursachungsgerechtigkeit – auch Einspeiser nutzen die Netzinfrastruktur, verursachen Netzausbaukosten (insbesondere in Norddeutschland für EE-Integration) und sollten sich daher beteiligen. Drittens die internationale Vergleichbarkeit – in vielen europäischen Ländern zahlen Einspeiser bereits Netzentgelte.
Die EE-Branche – angeführt von BWE (Bundesverband WindEnergie), BEE (Bundesverband Erneuerbare Energie) und Solarverbänden – lehnt kategorisch ab und mobilisiert massiv dagegen. Die Gegenargumente sind schlagkräftig: Einspeiseentgelte würden den EE-Ausbau gefährden, gerade in der kritischen Phase bis 2030, wo die Ausbauziele ohnehin kaum erreichbar scheinen. Sie schaffen eine Doppelbelastung – höhere Projektkosten führen zu höherem EEG-Förderbedarf, die Kosten werden nur vom Netzentgelt zum Bundeshaushalt verlagert, nicht aber gesenkt. Gesamtgesellschaftlich entstehe kein Vorteil.
Besonders private Solaranlagen würden ausgebremst, wenn Eigenheimbesitzer nicht nur für den Strombezug, sondern auch für die Einspeisung ihrer PV-Überschüsse zahlen müssen. Die Bestandsschutz-Problematik verschärft die Lage: Können Anlagen, die bereits gebaut sind und deren Wirtschaftlichkeitsberechnung keine Einspeiseentgelte enthielt, rückwirkend belastet werden, ohne Eigentumsrechte zu verletzen? Die Petition gegen „Bestrafung" der Einspeisung sammelt zehntausende Unterschriften und zeigt die emotionale Aufladung des Themas.
2. Speicherprivilegierung – Systemdienlichkeit versus Marktverzerrung
Die Speicherprivilegierung spaltet ebenso: Die BNetzA betont, eine Überprüfung der bis August 2029 laufenden Netzentgeltbefreiung nach §118 Abs. 6 EnWG sei notwendig. Aus regulatorischer Sicht ist die Frage berechtigt: Warum sollen Batteriespeicher dauerhaft von Netzentgelten befreit sein, wenn sie wirtschaftlich arbeiten können? Ist die Privilegierung noch als Anschubfinanzierung zu rechtfertigen oder wird sie zur Dauersubvention?
Die im Juli 2025 gegründete Batteriespeicher-Allianz aus 20 Unternehmen – darunter STABL Energy, Kyon Energy und weitere Player – fordert vehement eine Befreiung bis mindestens 2034 und warnt vor dem Ende des „market ramp-up". Die Argumentation ist überzeugend: Sonderbehandlung sei systembedingt notwendig für Netz- und Systemdienlichkeit. Batteriespeicher leisten essenzielle Dienste für die Netzstabilität, ermöglichen die Integration fluktuierender erneuerbarer Energien und vermeiden teure Netzausbaumaßnahmen.
Das zentrale Problem ist die Doppelbelastung: Speicher entnehmen Strom (Laden) und speisen Strom ein (Entladen). Würden für beide Vorgänge Netzentgelte fällig, entstünde eine doppelte Belastung, die bei 10-15 Prozent Speicherverlust und zweimaliger Netzentgeltbelastung die meisten Geschäftsmodelle unwirtschaftlich machen würde. Kyon-Geschäftsführer Benedikt Deuchert warnt eindringlich: „Ein Leistungspreis würde das Ende der marktgetriebenen Speichererweiterung bedeuten."
Ohne Privilegierung drohe ein Investitionsstopp bei Speichern, die für die Energiewende essentiell sind. Deutschland hat ambitionierte Speicherziele – 2023 waren 7,5 GW Batteriespeicherleistung installiert, bis 2030 werden 20-30 GW benötigt. Ein regulatorischer Bruch würde diese Entwicklung gefährden. Die BNetzA steht vor der schwierigen Abwägung zwischen Kostenwahrheit und Technologieförderung.
3. Vermiedene Netznutzungsentgelte (vNNE) – Kommunale KWK in Existenznot
Die vermiedenen Netznutzungsentgelte sind eine existenzielle Frage für kommunale Kraft-Wärme-Kopplung. Die vorzeitige Abschmelzung ab 2026 – 25 Prozent Reduktion jährlich bis zur vollständigen Abschaffung 2029 – trifft kommunale Stadtwerke mit eigenen KWK-Anlagen hart. Der VKU kämpft vehement für den vollständigen Erhalt.
Die Logik hinter vNNE ist einleuchtend: Dezentrale Erzeugung, die direkt im Verteilnetz einspeist, vermeidet die Nutzung vorgelagerter Netzebenen und damit Netzkosten. Diese Kostenersparnis wird über vNNE an den Betreiber weitergegeben. Das Konzept stammt aus einer Zeit, als Großkraftwerke in der Höchstspannung einspeisten und Strom durch alle Spannungsebenen transformiert werden musste. Dezentrale KWK-Anlagen sparen diese Transformationsstufen ein.
Die Gegner von vNNE argumentieren, dass in Zeiten massiver erneuerbarer Einspeisung im Verteilnetz die Logik nicht mehr greife. Tatsächlich fließt heute oft mehr Strom von unten nach oben (von Nieder- zu Mittel- zu Hochspannung) als umgekehrt. Netzverstärkung findet gerade in den unteren Spannungsebenen statt, nicht mehr primär oben. Die „vermiedenen" Kosten würden also nicht mehr vermieden.
Der VKU kontert: KWK-Anlagen kombinieren dezentrale Erzeugung mit Wärmeerzeugung und gewährleisten Versorgungssicherheit. Sie sind regelbar, liefern auch bei Dunkelflaute und stabilisieren das Netz. Ohne vNNE drohten Stilllegungen, was zu höheren Wärmepreisen für Mieter, erhöhtem Bedarf an teurem Netzausbau und paradoxerweise mehr neuen Gaskraftwerken führen würde – volkswirtschaftlich kontraproduktiv. Kommunale Anlagen finanzieren sich zu erheblichem Teil über vNNE-Zahlungen; der Wegfall würde eine „kritische Wirtschaftlichkeitslücke" reißen und die Wärmewende gefährden, insbesondere für Mieter in Mehrfamilienhäusern, die auf Fernwärme angewiesen sind.
Die Abschmelzung kritisiert der VKU als „überraschend" und „nicht nachvollziehbar" – viele Stadtwerke hatten mit Bestandsschutz bis zum Ende der technischen Lebensdauer ihrer Anlagen gerechnet. Langfristige Investitionsentscheidungen wurden auf Basis der bisherigen Regulierung getroffen. Der vorzeitige Wegfall erschüttert das Vertrauen in regulatorische Verlässlichkeit.
Weitere Kontroversen
Die Digitalisierungsanforderungen für dynamische Netzentgelte werden kontrovers diskutiert: Die BNetzA plant ambitionierte Dynamisierung, die Branche konstatiert jedoch, der Smart-Meter-Rollout sei viel zu langsam für 2029. BNetzA-Abteilungsleiter Achim Zerres nannte dies selbst „besonders herausfordernd". Die Praktikabilitätsfrage bleibt offen: Ist das technisch bis 2029 machbar, oder baut die BNetzA ein Regelwerk für eine Infrastruktur, die noch gar nicht existiert?
Industrierabatte stehen vor einem Paradigmenwechsel: Die alte 7.000-Stunden-Bandlastregelung wird abgelöst durch Markt- oder Netzdienlichkeit mit Flexibilitätsanforderungen. Die Industrie sorgt sich um ihre Produktionsprozesse und Finanzierungsplanungen. Circa 400 Bandlastkunden und 4.200 atypische Netznutzer sind betroffen. Für energieintensive Unternehmen wie Aluminiumhütten, Chemieparks oder Papierfabriken können Netzentgeltänderungen über Standortentscheidungen entscheiden.
Die regionale Kostenverteilung entzweit Nord und Süd: Nord- und Nordostdeutschland klagen über unfaire Belastung durch EE-Ausbau – Netzentgelte liegen bei 10-15 ct/kWh. Süddeutschland lehnt Quersubventionierung ab – Netzentgelte liegen bei 5-8 ct/kWh. Ein Kompromiss zu bundeseinheitlichen Verteilnetzentgelten ist nicht gefunden. Bayern und Baden-Württemberg fürchten, für den Windausbau an der Küste zur Kasse gebeten zu werden, während Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern argumentieren, sie bauten die Windkraft für ganz Deutschland.
Positionen der Verbände
Die Verbändelandschaft der deutschen Energiewirtschaft ist in der AGNES-Frage tief gespalten. Während alle die Notwendigkeit einer Reform anerkennen, gehen die Vorstellungen über die konkrete Ausgestaltung weit auseinander – ein Spiegelbild der unterschiedlichen Geschäftsmodelle und Kundenstrukturen.
BDEW: Technokratisch-marktorientiert
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) vertritt ein breites Spektrum von überregionalen Konzernen bis zu Stadtwerken und bevorzugt einen technokratisch-marktorientierten Ansatz. Die zentrale Forderung lautet: Kapazitätspreis statt Grundpreis. Der BDEW präferiert kW-basierte Kapazitätsentgelte, die kostenreflexiv an der tatsächlichen Netzanschlusskapazität bemessen werden. Flexibilisierung durch Unterscheidung zwischen „gesicherter" und „unterbrechbarer" Kapazität sowie saisonale Kapazitätsbuchungen werden gewünscht.
Pauschale Grundpreise lehnt der BDEW als „zu pauschal" ab, da sie zu Verwerfungen führen würden. Ein Haushalt mit 3.000 kWh Jahresverbrauch würde genauso belastet wie ein Haushalt mit 10.000 kWh – aus BDEW-Sicht eine unfaire Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte. Das präferierte Modell kombiniert einen Kapazitätspreis mit gegebenenfalls Arbeitspreis plus einem kleinen Grundpreis für Gemeinkosten.
Die strikte Ablehnung von Einspeiseentgelten ist der prominenteste Kritikpunkt des Verbandes. Der BDEW argumentiert mit Komplexitätsexplosion, Bestandsschutz-Konflikten und einem kontraproduktiven Förderkreislauf: Höhere Projektkosten führen zu höherem EEG-Förderbedarf, Kosten werden nur verlagert statt gesenkt. Der Verband befürchtet außerdem Wettbewerbsverzerrungen zwischen verschiedenen Erzeugern und mangelnde Standortsteuerung, da die Flächenkulisse für erneuerbare Energien durch Raumordnung bereits vorgegeben ist. Höhere nationale Großhandelspreise und steigende Industriestromkosten sind weitere Sorgen.
Bei dynamischen Netzentgelten fordert der BDEW schrittweise und vorsichtige Einführung, beginnend in höheren Spannungsebenen für Großbatteriespeicher und Elektrolyseure. Erst müssten Erfahrungen aus §14a EnWG gesammelt, dann das System ausgebaut werden. Die Warnung ist klar formuliert: „Ohne Flexibilisierung der Netzentgelte können Entgelte für Stromeinspeisung keine kostendämpfende Wirkung entfalten."
Für Speicher und Elektrolyseure fordert der BDEW Entfristung und technologieneutrale Ausgestaltung von §118 Abs. 6 EnWG mit Bestandsschutz für Anlagen vor dem 4. August 2029. Arbeitspreise für Speicher seien ungeeignet, da sie Flexibilitätsbereitstellung behindern. Die zentrale Leitlinie lautet: Netzdienlichkeit als Kriterium für Entgeltreduzierung, nicht Pauschalisierung nach Nutzergruppe.
VKU: Praktisch-kommunalorientiert
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), der 1.592 Stadtwerke mit 66 Prozent Marktanteil Strom vertritt, nimmt eine praktisch-kommunalorientierte Perspektive ein. Im deutlichen Gegensatz zum BDEW spricht sich der VKU für stärkere Gewichtung des Grundpreises aus. Für Netznutzer in der Niederspannung ohne Leistungsmessung müsse die Erhebung von Grundpreisen sogar vorgeschrieben werden. Kapazitätsnetzentgelte könnten ergänzend für Kunden mit Leistungsmessung sinnvoll sein.
Dieser fundamentale Unterschied zum BDEW reflektiert die Realität kommunaler Verteilnetzbetreiber mit vielen Standardlastprofil-Kunden, bei denen eine individuelle Kapazitätserfassung technisch schwieriger und administrativ aufwendiger ist. Kleinere Stadtwerke mit 20.000 bis 50.000 Kunden können nicht dieselbe IT-Infrastruktur vorhalten wie Konzerne mit Millionen Kunden.
Bei Einspeiseentgelten ist der VKU pragmatischer als der BDEW: Der Verband begrüßt grundsätzlich eine Verbreiterung der Finanzierungsbasis durch Beteiligung von Einspeisern, fordert aber faire Ausgestaltung, Verursachungsgerechtigkeit und Praktikabilität. Dies ist eine prinzipiell offenere Position als die kategorische BDEW-Ablehnung – wohl auch, weil kommunale Netzbetreiber in einspeisedominierten Regionen unter besonderem Kostendruck stehen.
Die existenzielle Bedeutung vermiedener Netznutzungsentgelte (vNNE) für kommunale KWK-Anlagen dominiert jedoch die VKU-Position. Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing kämpft vehement: „Der Verband kommunaler Unternehmen setzt sich für den vollständigen Erhalt der vermiedenen Netznutzungsentgelte ein." Die Argumentation ist überzeugend: KWK-Anlagen seien unverzichtbar für Versorgungssicherheit, dezentrale Erzeugung reduziere Netzbelastung und Netzverluste. Ohne vNNE drohten Stilllegungen bestehender Anlagen, höhere Strom- und Wärmepreise, erhöhter Bedarf an teurem Netzausbau und paradoxerweise mehr neue Gaskraftwerke – volkswirtschaftlich unsinnig.
Die vorzeitige Abschmelzung ab 2026 kritisiert der VKU scharf als „überraschend" und „nicht nachvollziehbar". Kommunale Anlagen finanzieren sich zu erheblichem Teil über vNNE-Zahlungen; der Wegfall würde eine „kritische Wirtschaftlichkeitslücke" reißen und die Wärmewende gefährden, insbesondere für Mieter in Mehrfamilienhäusern. Hier treffen energiepolitische Ziele – Kostenwahrheit bei Netzentgelten versus Förderung dezentraler Kraft-Wärme-Kopplung – hart aufeinander.
Bei dynamischen Netzentgelten mahnt der VKU zu Pragmatismus. Die §14a EnWG-Umsetzung mit dem Instrument „Spitzenglättung" sollte kurz- und mittelfristig Priorität haben als no-regret-Maßnahme. Zeitvariable Netzentgelte in Niederspannung seien langfristig in vereinfachter Form denkbar, derzeit aber weder Notwendigkeit noch Vorteilhaftigkeit absehbar. Die Mahnung zu einfachen, handhabbaren Regelungen durchzieht alle VKU-Stellungnahmen – ein Appell an die BNetzA, die Umsetzungskapazität kleinerer Stadtwerke nicht zu überfordern.
Workshop-Ergebnisse (2./3. Juni 2025 in Bonn)
Der zweitägige AGNES-Workshop im LVR-LandesMuseum markierte einen Wendepunkt:
Konsens (breite Zustimmung):
- ✅ Reform nur mit hoher Transparenz und enormer Kommunikation erfolgreich
- ✅ Schrittweise Weiterentwicklung statt „Big Bang"
- ✅ BNetzA muss in Festlegung den Weg klar darstellen
Kapazitätsentgelte:
- Breite Zustimmung für stärkere Berücksichtigung individueller Kapazität
- Abkehr von stark mengenabhängigen Netzentgelten
- Abbau von Flexibilitätshemmnissen als Priorität
Dynamische Netzentgelte:
- Potenziell wertvoll zur Netzauslastungsoptimierung
- Aber: Komplexität muss beherrschbar bleiben
- Forderung nach schrittweiser Einführung: „einfach beginnen, später erhöhen"
Einspeiseentgelte (kritisch):
- Nutzen für Gesamtsystem muss erst untersucht werden
- Zusätzliche Komplexität bewerten
- Auswirkungen auf EEG-Förderung berücksichtigen
Speicher:
- Einigkeit über Differenzierung nach Netznutzung statt Nutzergruppe
- Vermeidung von Doppelbelastung
- Honorierung netzdienlicher Betriebsweise
Technische Herausforderungen
Smart Meter Rollout – Die Achillesferse
Aktueller Stand:
- Deutlich hinter Zeitplan
- Nur 3 zertifizierte Smart Meter Gateway-Hersteller
- Interoperabilität zwischen Systemen fehlt
- Mobilfunk-Netzabdeckung in ländlichen Gebieten unzureichend
AGNES-Anforderungen bis 2030:
- 95% der Pflichtfälle ausgestattet
- Viertelstundengenaue Datenübermittlung an Netzbetreiber
- CLS-Kanal für Gerätesterung
- BSI-Zertifizierung nach Protection Profile
Technische Probleme:
- Anbindung mehrerer Zähler an ein Gateway
- Komplexe Firmware-Updates und Parametrierung
- Physische Installation in Bestandsgebäuden
IT-Systeme und Abrechnungssysteme
Fundamentale Anpassungen erforderlich:
Abrechnungssysteme (SAP IS-U etc.):
- Integration intelligenter Messsysteme
- Neue Preisblätter und Entgeltkomponenten
- Dynamische Tarifmodelle
- Zeitreihen-Verarbeitung in Echtzeit
Marktkommunikationssysteme:
- Anpassung an MaKo 2022/2025
- Integration neue Marktrolle „Energieserviceanbieter"
- Erweiterte UTILMD/MSCONS-Formate
- Automatisierte Stammdatenverwaltung
Gateway-Administration:
- Advanced Meter Management (AMM)
- Head-End-Systeme (HES) für Datenaggregation
- Meter Data Management (MDM)
- CRM-Integration
Aufwand:
- SAP-Customizing: 6-12 Monate Projektlaufzeit
- Middleware-Entwicklung: Erheblicher Programmieraufwand
- Testing: Kritisch wegen Massendatenfähigkeit
Lastmanagementsysteme
Echtzeitfähigkeit erforderlich:
- Netzzustandsermittlung und Steuerung innerhalb Sekunden
- KI-gestützte Prognosemodelle für Netzlast und EE-Einspeisung
- Koordination zwischen VNB und ÜNB
- Skalierbarkeit für Millionen steuerbarer Verbrauchseinrichtungen
Herausforderungen:
- Heterogene Gerätelandschaft (verschiedene Hersteller, unterschiedliche Protokolle)
- Latenzzeiten bei Mobilfunk und Powerline Communication
- Datenschutz bei granularer Verbrauchserfassung
Rechtliche Herausforderungen
EU-rechtliche Grundlagen
Clean Energy Package:
- Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944
- Elektrizitätsbinnenmarktverordnung (EU) 2019/943
- Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II)
EuGH-Urteil vom 2. September 2021 (C-718/18):
- Grundlage der gesamten Reform
- Entscheidungskompetenz für Entgeltmethoden liegt bei Regulierungsbehörde
- Nicht beim Gesetz- oder Verordnungsgeber
- Regulierungsbehörde muss frei von politischen Einflüssen agieren
EuGH-Urteil vom 28. November 2024:
- Deutsche Regelung zu §3 Nr. 24a EnWG teilweise EU-rechtswidrig
- Massive Auswirkungen auf Privilegierungen
- Überprüfung bestehender Geschäftsmodelle erforderlich
Verfassungsrechtliche Fragen
Eigentumsgarantie (Art. 14 GG):
- Vermiedene Netzentgelte und schrittweise Absenkung ab 2026
- Vertrauensschutz für getätigte Investitionen (insbesondere Batteriespeicher)
- Verhältnismäßigkeit der Umstellung
Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG):
- Rechtfertigung unterschiedlicher Entgelte für verschiedene Nutzergruppen
- Sachgerechte Differenzierung zwischen Einspeisern und Verbrauchern
Implementierungsrisiken
Regulatorisches Neuland:
- Klagewelle gegen BNetzA-Festlegung zu erwarten
- Jahrelange gerichtliche Klärung möglich
Beihilfenrecht:
- EU-Kommission prüft Privilegierungen kritisch
- Risiko nachträglicher Nichtigkeitserklärung einzelner Regelungen
Übergangsmanagement:
- Rechtsunsicherheit für Investitionen ab 2026
- Langfristige Verträge (PPAs, Speicherprojekte) mit Unsicherheiten behaftet
Vollzugsdefizite:
- Zeitknappheit (zwei Jahre Umsetzung möglicherweise nicht ausreichend)
- Komplexität (Risiko der Nicht-Umsetzbarkeit einzelner Elemente)
- Personalmangel bei BNetzA, Netzbetreibern und MSB