Wenn im Sommer die Schlagzeilen von negativen Strompreisen an der Börse berichten, ist die Verlockung groß, den Strompreis allein an diesen Zahlen zu messen. Doch diese Betrachtung greift nicht nur zu kurz, sie übersieht auch tiefgreifende Konflikte, die sich zunehmend zwischen Stromanbietern und Netzbetreibern abzeichnen – und letztlich die Verbraucher treffen könnten. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt: Der Strompreis ist ein komplexes Gebilde, das weit mehr umfasst als den Börsenpreis.
Die Illusion des Börsenstrompreises
Etwa ein Drittel des Strompreises, den Verbraucher zahlen, entfällt auf die tatsächlichen Beschaffungskosten des Stromanbieters. Diese können sich zwar an den Börsenpreisen orientieren, doch in der Realität gehen viele Anbieter langfristige Lieferverträge ein, um Planbarkeit zu schaffen und Preisschwankungen zu umgehen. Die Strombörse selbst dient daher primär zur Korrektur von Planungsfehlern.
Die Preisgestaltung an der Börse ist jedoch hochvolatil – und mitunter dramatisch. Als im November 2024 die Preise aufgrund unvorhergesehener Produktionsengpässe explodierten, wurde einmal mehr deutlich, dass kurzfristige Marktmechanismen unberechenbar sein können. Diese Dynamik trifft insbesondere Anbieter, die auf langfristige Strategien setzen, hart – ein Spannungsfeld, das im Zusammenspiel mit Netzbetreibern noch komplexer wird.
Netzbetreiber: Hüter der Stabilität oder neue Konkurrenz?
Netzbetreiber haben eine zentrale Aufgabe: die Stabilität des Stromnetzes zu gewährleisten. Dafür greifen sie aktiv in den Markt ein – ein Recht, das ihnen durch das Energiewirtschaftsgesetz (§14a EnWG) eingeräumt wird. Kunden, die sich netzdienlich verhalten, etwa durch das gezielte Verschieben von Verbrauchszeiten, profitieren von niedrigeren Netzentgelten.
Doch genau hier entstehen wirtschaftliche Konflikte. Wenn Netzbetreiber zu Spitzenzeiten Lastspitzen abfedern, liefern Stromanbieter womöglich nicht den Strom, den sie eingekauft haben. Stattdessen bleibt der Anbieter auf seiner Ware sitzen und muss diese, oft unter Wert, weiterverkaufen.
Das Problem: Netzbetreiber und Stromanbieter agieren ökonomisch zunehmend wie Konkurrenten, obwohl sie eigentlich Partner im Energiesystem sein sollten. Netzbetreiber fördern eine netzdienliche Flexibilität, während Anbieter auf kontinuierliche Abnahme und stabile Einnahmen angewiesen sind. Das Spannungsfeld zwischen diesen Zielen wird in der Zukunft weiter wachsen – mit möglichen Nachteilen für die Endkunden.
Wer zahlt am Ende?
Diese strukturelle Divergenz hat langfristige Folgen. Wenn Stromanbieter Verluste erleiden, könnten diese in Form höherer Preise an die Verbraucher weitergegeben werden. Gleichzeitig führt die zunehmende Regulierung durch Netzbetreiber zu einem unübersichtlicheren Preisgefüge, das für den Endkunden schwer nachvollziehbar bleibt.
Die Energiewende verschärft diesen Konflikt zusätzlich. Während erneuerbare Energien das Potenzial haben, den Energiemarkt nachhaltiger zu gestalten, benötigen sie auch ein hohes Maß an Koordination und Flexibilität – genau dort, wo die Interessen von Netzbetreibern und Anbietern aufeinanderprallen.
tl;dr Ein System am Scheideweg
Der Strompreis ist mehr als die Summe seiner Teile. Er ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels von Marktmechanismen, regulatorischen Eingriffen und wirtschaftlichen Interessen. Doch während Verbraucher von einem günstigen und stabilen Strompreis träumen, droht der zunehmende Wettbewerb zwischen Anbietern und Netzbetreibern das Gegenteil zu bewirken.
Die Lösung? Transparenz und Kooperation. Anstatt in Konkurrenz zu treten, müssen Anbieter und Netzbetreiber Wege finden, ihre Ziele zu harmonisieren. Nur so kann das System nicht nur stabil und wirtschaftlich bleiben, sondern auch die Verbraucher entlasten – und die Energiewende vorantreiben.
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