Die energierechtlichen Vorschriften unterliegen einem stetigen Wandel. Nachdem im ersten Halbjahr 2024 das Solarpaket I auf den Weg gebracht wurde (wir berichteten), hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) nun einen weiteren Referentenentwurf vorgelegt, der das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) überarbeitet. Ziel ist es, die Endverbraucher stärker in den Strommarkt einzubinden und das sogenannte Energy Sharing zur gemeinsamen Nutzung von Strom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen (EE-Anlagen) zu verankern.

Als Vorreiter im Bereich Energy Sharing hat die STROMDAO mit dem Stromkollektiv bereits technische und prozessuale Grundlagen entwickelt, die nun auf den deutschen Markt übertragen werden. Dieser Artikel gibt einen Überblick über das, was auf Netzbetreiber und Energielieferanten zukommt und wie das neue Modell genutzt werden kann.

Energy Sharing Modelle in § 42c EnWG-E

Mit dem neuen Entwurf wird in § 42c EnWG-E ein explizites Modell für Energy Sharing eingeführt. Diese Regelung setzt die Vorgaben der EU-Strombinnenmarktrichtlinie (Richtlinie (EU) 2024/1711) um und ergänzt die bereits bestehenden Modelle zur gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung. Energy Sharing ermöglicht es Letztverbrauchern, Strom aus regionalen EE-Anlagen gemeinsam zu nutzen, auch wenn dabei das allgemeine Versorgungsnetz in Anspruch genommen wird. Dies ist ein bedeutender Unterschied zur gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung, bei der der Strom innerhalb desselben Gebäudes genutzt wird.

Ein wesentlicher Vorteil für die Betreiber von EE-Anlagen besteht darin, dass sie keine Vollversorgung für die beteiligten Verbraucher bereitstellen müssen. Verbraucher, die am Energy Sharing teilnehmen, können weiterhin ihren eigenen Stromlieferanten für zusätzlichen Energiebedarf wählen – was die Flexibilität erhöht und die Teilnahme am Modell erleichtert.

Chancen und Herausforderungen für Netzbetreiber und Energieversorger

Das neue Energy Sharing Modell bringt jedoch nicht nur Chancen, sondern auch neue Verpflichtungen für Netzbetreiber und Reststromlieferanten. Netzbetreiber müssen zukünftig zusätzliche Aufgaben im Bereich der Marktkommunikation und Abrechnung übernehmen, insbesondere, wenn es um die Bilanzierung und Abrechnung gemeinschaftlich genutzter Strommengen geht. Die geplante Einführung einer einheitlichen Internetplattform soll die Organisation und Abrechnung dieser Prozesse ab Juli 2026 erleichtern.

Für Reststromlieferanten ergeben sich neue Dienstleistungen: Sie können die Abrechnung von Steuern, Abgaben und Netzentgelten für die beteiligten Letztverbraucher übernehmen. Diese Dienstleistung kann in den Reststrompreis eingepreist werden, doch ob das Modell auf diese Weise für Reststromlieferanten wirtschaftlich attraktiv bleibt, ist noch offen.

Fehlen finanzieller Anreize

Obwohl das Energy Sharing Modell wichtige Vereinfachungen und praktische Erleichterungen mit sich bringt, gibt es keine direkten finanziellen Anreize wie eine Energy-Sharing-Prämie. Auch Erleichterungen bei Netzentgelten und Umlagen sind bisher nicht vorgesehen, was die Attraktivität des Modells für viele Endverbraucher einschränken könnte. Laut einem Kurzbericht des Umweltbundesamts vom November 2023 sind die Auswirkungen des Energy Sharings auf den Infrastrukturbedarf im Verteilnetz als „geringfügig“ einzustufen – das BMWK bleibt hier jedoch vorsichtig und geht davon aus, dass das Energy Sharing zumindest kurzfristig kein Massengeschäft wird.

Perspektiven und Potenziale

Trotz der Herausforderungen und noch offenen Fragen bringt die neue Regelung im EnWG neue Möglichkeiten, den Zugang zum Energiemarkt für Bürger zu erleichtern und die Akzeptanz für den Ausbau erneuerbarer Energien zu steigern. Für die Energieversorgung und -infrastruktur bedeutet das Energy Sharing zusätzliche Anforderungen, aber auch neue Geschäftsmodelle und Synergieeffekte.

Ob das Modell auf lange Sicht eine breite Anwendung findet, hängt nun davon ab, wie attraktiv die Rahmenbedingungen gestaltet werden. Es bleibt abzuwarten, ob das BMWK oder die Bundesnetzagentur zukünftig zusätzliche Anreize schaffen, die das Energy Sharing auch wirtschaftlich lohnenswert machen. Dennoch ist die gesetzliche Verankerung von Energy Sharing ein Schritt in Richtung eines dezentralen und bürgernahen Energiemarkts.

Der Erfolg des Modells wird jedoch davon abhängen, wie pragmatisch und effizient es umgesetzt wird und ob bestehende Hindernisse abgebaut werden – wie z. B. der Netzanschlussprozess, der für EE-Anlagen oft langwierig und bürokratisch ist. Die Forderung des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) nach einer „Clearingstelle Netze“ könnte dabei helfen, diesen Prozess zu beschleunigen und eine Anlaufstelle für Klärungen zu bieten.

tl;dr

Energy Sharing bietet Potenzial für eine nachhaltigere und bürgerfreundlichere Energiezukunft. Die Einführung eines offiziellen Modells im EnWG schafft rechtliche Sicherheit und erleichtert die gemeinsame Nutzung von Strom aus erneuerbaren Quellen. Doch ohne finanzielle Anreize und bürokratische Erleichterungen bleibt abzuwarten, wie viele Bürger und Unternehmen diese Möglichkeit aktiv nutzen werden.

Mehr bei stromhaltig: