Mehr als nur eine Frage der Effizienz
In einer Welt, in der das Stromnetz zum Rückgrat unserer Zivilisation geworden ist, taucht immer häufiger der Begriff “Netzdienlichkeit” auf. Doch was bedeutet das eigentlich und warum sollten wir alle ein Interesse daran haben? In diesem Artikel erklären wir, wie netzdienliches Verhalten aussehen kann und warum es nicht nur im Interesse der großen Stromkonzerne oder Netzbetreiber, sondern in unser aller Verantwortung liegt.
Das Stromnetz: Unser gemeinschaftliches Gut
Das Stromnetz ist ein zentrales Bindeglied unserer Gesellschaft, das uns allen gehört. Es ist öffentliches Eigentum der Bundesrepublik Deutschland, verwaltet von Netzbetreibern, aber letztendlich der Allgemeinheit zugehörig. In dieser Gemeinschaftlichkeit liegt die Verantwortung eines jeden Einzelnen begründet, das Stromnetz nicht nur zu nutzen, sondern es auch zu schützen und effizient einzusetzen.
Negative Konsequenzen unzureichender Netzdienlichkeit
Um den Begriff der Netzdienlichkeit zu veranschaulichen, stellten wir uns eine Situation vor: Ein stürmischer Tag an Nord- und Ostsee führt zu einem Überangebot an Windenergie, was zu fallenden Strompreisen an der Börse führt. Im Süden Deutschlands sieht ein Speicherbesitzer nun die Chance, seinen Stromspeicher kostengünstig zu laden. Da die Strombörse nicht lokalisiert, wo die Nachfrage stattfindet, kann er den billig erstandenen Strom verbrauchen, ohne Rücksicht auf netzdienliches Verhalten zu nehmen.
Dabei geht aber der Kerngedanke der Netzdienlichkeit verloren: Verhalten, das das Stromnetz unnötig belastet und dadurch kostspieliger macht für alle. Die Übertragungsinfrastruktur muss auch diese nicht-regionale Nachfrage bewältigen können, was zu weiteren Kosten führt – Kosten, die durch die Netzentgelte an die Allgemeinheit weitergegeben werden.
Netzdienlichkeit als Schlüssel für eine effiziente Infrastruktur
Netzdienlichkeit: Stromnetz effizient nutzen
Netzdienlichkeit zielt darauf ab, das Stromnetz optimal zu nutzen, um den Bedarf an zusätzlicher Infrastruktur zu minimieren. Dazu müssen Stromerzeugung und -verbrauch räumlich aufeinander abgestimmt werden.
Prosumer: Stromerzeuger und -verbraucher
Der Begriff “Prosumer” ist ein Kofferwort, das sich aus den englischen Wörtern “producer” (Produzent) und “consumer” (Verbraucher) zusammensetzt. Es beschreibt Akteure auf dem Energiemarkt, die nicht nur Energie verbrauchen, sondern auch selbst erzeugen. Diese Dualität unterscheidet Prosumer von herkömmlichen Konsumenten, den sogenannten “Consumern”, die lediglich Energie beziehen und verbrauchen.
Die Rolle des Prosumers hat sich mit der zunehmenden Verbreitung erneuerbarer Energien und der Entwicklung von technologischen Lösungen wie Photovoltaik-Anlagen auf Hausdächern oder kleinen Windkraftanlagen entwickelt. Im Gegensatz zu traditionellen Consumern, die – metaphorisch gesprochen – nur aus dem Stromnetz “entnehmen”, sind Prosumer gleichzeitig auch “Einspeiser” ins Stromnetz. Sie tragen aktiv zur Energieproduktion bei, indem sie oft mit erneuerbaren Quellen wie Sonne oder Wind eigene Energie erzeugen.
Indem Prosumer ihren selbst erzeugten Strom vorrangig für den eigenen Bedarf nutzen, können sie das öffentliche Stromnetz signifikant entlasten. Zum Beispiel kann ein Haushalt, der eine Photovoltaikanlage besitzt, mittags, wenn die Sonneneinstrahlung am stärksten ist, den größten Teil seines Energiebedarfs decken, ohne auf das allgemeine Stromnetz angewiesen zu sein. Dies verringert die Gesamtnachfrage nach Strom aus konventionellen, zentralisierten Kraftwerken, insbesondere während Spitzenlastzeiten, was wiederum die Notwendigkeit des Ausbaus von Energieinfrastruktur reduziert und somit Kosten spart.
Ein weiteres Element, das Prosumer von herkömmlichen Consumern unterscheidet, ist ihre Fähigkeit, Energie zu speichern. Modernste Heimbatterien ermöglichen es Prosumern, den selbst erzeugten Strom zu lagern und zu einem späteren Zeitpunkt zu verwenden, wenn die eigene Produktion von erneuerbarer Energie geringer ist oder die Nachfrage steigt. Dadurch reduzieren sie zusätzlich die Lastspitzen im Netz, was besonders wichtig ist, da die Infrastruktur sonst für diese kurzen, aber intensiven Spitzen ausgelegt werden müsste.
Kurz gesagt, Prosumer spielen eine entscheidende Rolle im Übergang zu einer nachhaltigeren und effizienteren Energieversorgung. Durch die Verknüpfung von Produktion und Konsum in einem Haushalt oder Unternehmen tragen sie dazu bei, die Energieinfrastruktur zu entlasten, den Einsatz fossiler Brennstoffe zu reduzieren und den Weg für eine energieautarke Zukunft zu ebnen.
Hürden für Netzdienlichkeit
Allerdings gibt es auch Faktoren, die die Netzdienlichkeit beeinträchtigen können. Beispielsweise können Heimspeicher oft nur für einen begrenzten Zeitraum ausreichend Energie speichern, wodurch die Besitzer in bestimmten Monaten auf das allgemeine Stromnetz angewiesen sind.
Unser aktuelles Strommarktmodell berechnet Stromkosten in erster Linie nach der verbrauchten Menge an elektrischer Energie, angegeben in Kilowattstunden (kWh). Dieses Preissystem reflektiert hauptsächlich die Energieerzeugung und den direkten Verbrauch und lässt dabei wesentliche Aspekte des modernen Energiemanagements außer Acht. Insbesondere wird die Speicherung von Strom für den Eigenbedarf nicht ausreichend wertgeschätzt, was einen signifikanten Einfluss auf unser Verbrauchsverhalten hat und potenziell weniger netzdienliches Handeln fördert.
Heimspeicher, die eine Schlüsselrolle in der Energiewende spielen, indem sie überschüssigen Strom speichern und diesen bei Bedarf zur Verfügung stellen, werden durch das aktuelle Model der Stromkostenberechnung nur marginal gefördert. Da Stromkosten momentan nicht die tatsächlichen Netzbelastungen und Infrastrukturkosten, die durch Spitzenlasten entstehen, wiederspiegeln, besteht für Endverbraucher wenig Anreiz, in Speichertechnologien zu investieren, die das Netz entlasten könnten. Stattdessen kann es ökonomisch schlüssiger erscheinen, den Strom direkt aus dem Netz zu beziehen, wenn er benötigt wird, anstatt in Speicherkapazitäten zu investieren, die verhindern würden, dass jeder Haushalt genau zur Hauptlastzeit auf das Netz zugreift.
Dies führt zu einer paradoxen Situation: Einerseits wollen wir eine dezentrale, erneuerbare Energieversorgung fördern, andererseits unterstützt das Abrechnungssystem nicht das Eigeninteresse, den Strom dann zu verbrauchen oder zu speichern, wenn er im Überfluss und damit günstig vorhanden ist. Tranformative Konzepte wie Demand Response oder dynamische Stromtarife, die Verbraucher für ihre Bereitschaft, den Energieverbrauch an die Netzbelastung anzupassen, monetär belohnen könnten, werden so nicht hinreichend unterstützt.
Das Resultat: Verpasste Chancen für eine effizientere Netzinfrastruktur und eine verzögerte Integration erneuerbarer Energien. Um beides zu fördern, wäre ein Überdenken der herkömmlichen Stromkostenberechnung hin zu einem System, das Netzdienlichkeit und Speicherkapazitäten berücksichtigt und belohnt, ein wichtiger Schritt in Richtung eines nachhaltigeren und zukunftsfähigen Energiemarktes.
Wie kann man netzdienlich handeln?
Wer netzdienlich sein möchte, kann die Nutzung von Strom an Zeiten und Orte anpassen, in denen viel Energie aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung steht. Ein praktisches Instrument hierfür ist der GrünstromIndex, der anzeigt, wann in einer Region besonders viel erneuerbare Energie generiert wird. Dies ermöglicht es, den eigenen Stromverbrauch danach auszurichten und somit netzdienlich zu agieren. Aktuell gibt es dafür zwar keine direkte finanzielle Belohnung, aber zumindest das Bewusstsein, einen positiven Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten.
Fazit
Netzdienlichkeit ist mehr als ein technischer Aspekt des Energiemarkts – es ist ein Aufruf an uns alle, verantwortungsbewusst mit unseren Ressourcen umzugehen. Wenn wir unsere Verbrauchsgewohnheiten so anpassen, dass sie dem Stromnetz und damit der Allgemeinheit dienen, können wir damit beginnen, die Belastung unserer Infrastruktur zu reduzieren und langfristig zu einer nachhaltigeren Energiezukunft beizutragen. Es ist Zeit, dass wir alle ein Teil der Lösung werden.