Die deutsche Energiebranche steht vor einer bedeutenden Änderung: Ab dem 1. Januar 2026 muss der technische Vorgang eines Stromlieferantenwechsels innerhalb von 24 Stunden möglich sein. Diese als “LFW24” bekannte Neuerung basiert auf EU-Vorgaben und wurde in deutsches Recht übernommen.
Was steckt dahinter?
Ziel ist es, den Wettbewerb im Strommarkt zu stärken und Verbrauchern einen schnelleren Wechsel zwischen verschiedenen Stromanbietern zu ermöglichen. Der technische Prozess des Lieferantenwechsels, der bisher mehrere Tage dauern konnte, wird dadurch erheblich beschleunigt.
Aktueller Stand
Die Bundesnetzagentur hat am 21. März 2024 die detaillierten Vorgaben für die Umsetzung festgelegt. Die neuen Prozesse treten zum 1. April 2025 in Kraft, damit die Energiebranche ausreichend Zeit zur Implementierung und Stabilisierung der Systeme hat.
Bedeutung für Stromkunden
Für Verbraucher bedeutet dies mehr Flexibilität beim Anbieterwechsel. Der technische Prozess wird deutlich schneller ablaufen. Allerdings bleiben vertragliche Kündigungsfristen weiterhin bestehen - ein täglicher Wechsel ist also nur möglich, wenn keine vertraglichen Bindungen mehr bestehen.
Herausforderungen für Energieversorger
Die Energieversorger müssen ihre IT-Systeme und Prozesse grundlegend anpassen:
- Neue automatisierte Prozesse müssen implementiert werden
- Die Kommunikation zwischen allen Marktteilnehmern muss beschleunigt werden
- Stammdatenprozesse werden neu strukturiert
- Das bisherige asynchrone Bilanzierungsmodell wird abgeschafft
Wichtige Termine
- April 2025: Inkrafttreten der neuen Prozesse
- Januar 2026: Verpflichtende Umsetzung des 24-Stunden-Wechsels
Die größten Hürden bei der Umsetzung des 24-Stunden-Lieferantenwechsels
Die Umstellung auf einen Lieferantenwechsel innerhalb von 24 Stunden offenbart die Schwachstellen in den bestehenden Prozessen der Energiewirtschaft. Während die technischen Voraussetzungen für eine schnellere Abwicklung grundsätzlich existieren, zeigen sich die wahren Herausforderungen in den gewachsenen Strukturen und der Unternehmenskultur.
Bestehende Prozesse und Zeitverzögerungen
Die aktuellen Prozesse beinhalten zahlreiche Zeitfresser: Die manuelle Prüfung von Kündigungen und Anmeldungen verlangsamt den Ablauf erheblich. Statt einer parallelen Verarbeitung werden Prozessschritte oft seriell abgearbeitet. Eingebaute Zeitpuffer für mögliche Korrekturen oder Nachfragen, Wartezeiten durch abteilungsübergreifende Abstimmungen und die Batchverarbeitung von Datenaustauschen statt einer Echtzeitverarbeitung verzögern den Prozess zusätzlich.
Kulturelle Herausforderungen
Ein oft unterschätzter Aspekt ist die in Deutschland vorherrschende Kultur der manuellen Kontrolle. Viele Prozessschritte werden noch immer von Mitarbeitern “abgesegnet”, obwohl dies bei standardisierten Massengeschäften weder notwendig noch sinnvoll ist. Diese vermeintliche Kontrolle verlangsamt den Gesamtprozess erheblich, bindet unnötig Personal, verhindert echte Automatisierung und schafft eine falsche Sicherheit.
Digitalisierungslücken
Die fehlende durchgängige Digitalisierung manifestiert sich in uneinheitlichen IT-Systemen und Schnittstellen. Medienbrüche in der Prozesskette und die mangelnde Automatisierung von Standardprozessen erschweren einen effizienten Ablauf. Die fehlende Echtzeitverarbeitung von Marktdaten und unzureichende API-First-Strategien verdeutlichen den Nachholbedarf in der technischen Infrastruktur.
Notwendiger Paradigmenwechsel
Für einen erfolgreichen 24-Stunden-Wechselprozess müssen Energieversorger ihre Denkmuster grundlegend ändern: Der Fokus muss sich von der Kontrollorientierung zur Prozessorientierung verschieben. Die manuelle Prüfung weicht der automatisierten Validierung, die Einzelfallbearbeitung dem skalierbaren Massengeschäft. Batch-Verarbeitung wird durch Echtzeitverarbeitung ersetzt, isolierte Systeme entwickeln sich zu integrierten Plattformen.
Die wichtigsten technischen und organisatorischen Anforderungen:
- Vollautomatische Prozesse ohne manuelle Eingriffe
- Durchgängige Digitalisierung aller Teilprozesse
- Standardisierte Schnittstellen und Datenformate
- Hochverfügbare IT-Systeme für 24/7-Betrieb
- Neue Organisations- und Arbeitsmodelle
- Widerstand gegen Veränderung
Der innere Widerstand gegen Veränderung in den Unternehmen manifestiert sich in verschiedenen Formen: Mitarbeiter entwickeln Angst vor Kontrollverlust durch Automatisierung und sorgen sich um ihre Arbeitsplätze. Die Gewohnheit an bestehende Prozesse und das ausgeprägte Sicherheitsdenken (“Das haben wir immer so gemacht”) erschweren Veränderungen. Auch die Verteidigung von Zuständigkeiten und Kompetenzen behindert notwendige Anpassungen.
Die Umstellung auf einen 24-Stunden-Lieferantenwechsel ist damit weit mehr als nur ein technisches Projekt. Es erfordert einen fundamentalen Kulturwandel in der Energiewirtschaft - weg von der manuellen Kontrolle hin zu vollautomatisierten, digitalen Prozessen. Nur Unternehmen, die diesen Wandel aktiv gestalten und ihre Mitarbeiter dabei mitnehmen, werden langfristig erfolgreich sein.
Die Erfahrungen der Bundesnetzagentur mit anderen Digitalisierungsprojekten der Branche zeigen, dass viele Unternehmen dazu neigen, Änderungen bis zum letztmöglichen Zeitpunkt aufzuschieben. Dies führt oft zu überhasteten Implementierungen ohne ausreichende Testphasen - ein Risiko, das beim 24-Stunden-Lieferantenwechsel aufgrund der hohen Komplexität besonders kritisch wäre.
Fazit
Der Lieferantenwechsel in 24 Stunden stellt eine bedeutende Modernisierung des Strommarktes dar. Während Verbraucher von schnelleren Wechselprozessen profitieren, stehen Energieversorger vor erheblichen technischen Herausforderungen. Ein täglicher Wechsel wird theoretisch möglich sein, wird aber durch vertragliche Bindungen und die Notwendigkeit von Werktagen für den technischen Prozess praktisch eingeschränkt bleiben.
Die erfolgreiche Umsetzung wird maßgeblich von der Fähigkeit der Energiebranche abhängen, die technischen Anforderungen rechtzeitig und stabil zu implementieren. Die Bundesnetzagentur wird die Entwicklung genau beobachten und den Prozess eng begleiten.
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