Lastprofilbasierte Beschaffungskosten im dynamischen Strommarkt
Eine empirische Analyse der Auswirkungen variabler Tarife auf verschiedene Verbrauchergruppen
Executive Summary
Diese Studie untersucht die wirtschaftlichen Auswirkungen der gesetzlichen Verpflichtung zum Angebot variabler Stromtarife (EnWG §41a Abs. 3) auf verschiedene Verbrauchergruppen. Die Analyse basiert auf empirischen Daten der Jahre 2023 und 2024, die mithilfe des STROMDAO Energy Application Frameworks ausgewertet wurden.
Zentrale Erkenntnisse
- Systematische Mehrkosten: 9 von 11 untersuchten Standardlastprofile weisen bei variablen Tarifen höhere Kosten auf als der Spotmarkt-Durchschnitt
- Gewinner und Verlierer: Während Gewerbekunden mit Tageslast (G1) Einsparungen von bis zu 34,89% realisieren können, entstehen für landwirtschaftliche Profile Mehrkosten von bis zu 6,30%
- Zunehmende Spreizung: Die Preisdifferenzen zwischen den Profilen erreichen Spitzenwerte von 19,26 €/MWh und verstärken sich bei sinkendem Gesamtpreisniveau
Kritische Bewertung der aktuellen Regulierung
Die pauschale Verpflichtung zum Angebot variabler Tarife führt zu einer problematischen Risikoverlagerung von den Energieversorgern auf die Verbraucher. Dies resultiert in:
- Verlust von Portfolioeffekten
- Erhöhten Transaktionskosten
- Suboptimaler Risikoallokation
- Steigenden Systemkosten
Handlungsempfehlungen
-
Für Regulierungsbehörden
- Überarbeitung der pauschalen Tarifverpflichtung
- Entwicklung verbrauchergruppenspezifischer Regelungen
- Einführung verpflichtender Risikoaufklärung
-
Für Energieversorger
- Entwicklung hybrider Tarifmodelle
- Implementierung profilspezifischer Beschaffungsstrategien
- Stärkung des Risikomanagements
-
Für Verbraucher
- Gewerbe G1: Wechsel zu variablen Tarifen prüfen
- Haushalte: Kombination aus Grund- und variabler Last
- Landwirtschaft: Fokus auf langfristige Preissicherheit
Wirtschaftliche Relevanz
Die Studie quantifiziert erstmals die profilspezifischen Kosteneffekte variabler Tarife und liefert konkrete Break-Even-Punkte für verschiedene Verbrauchergruppen. Diese Erkenntnisse sind essentiell für:
- Strategische Entscheidungen der Energieversorger
- Regulatorische Anpassungen
- Verbraucherentscheidungen bei der Tarifwahl
Ausblick
Die Zukunft liegt in einer differenzierten Tariflandschaft, die verschiedene Beschaffungsstrategien intelligent kombiniert. Der Erfolg dieser Transformation hängt maßgeblich von der Balance zwischen Markteffektivität und Verbraucherschutz ab.
Diese Studie wurde von der STROMDAO GmbH durchgeführt und basiert auf der Analyse realer Marktdaten aus den Jahren 2023/2024.
Inhaltsverzeichnis
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Einführung in die Thematik der dynamischen Strompreise und deren wachsende Bedeutung im Kontext der Energiewende. Darstellung des Business Case aus Sicht verschiedener Marktteilnehmer und Überblick über Zielsetzung und methodischen Ansatz der Studie.
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Erläuterung grundlegender Begriffe wie Energiepreis und deren Abgrenzung zum Gesamtstrompreis. Detaillierte Darstellung der Preisbildung am Strommarkt und der verschiedenen Beschaffungswege.
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Analyse des Spannungsfelds zwischen hochvolatilen Börsenpreisen und langfristigen Beschaffungsstrategien. Betrachtung der Rolle des Lieferantenwechsels in 24 Stunden (LFW24) und der Energie Service Anbieter (ESA).
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Darstellung der zentralen Herausforderung bei der Analyse von Lastprofilen und deren Auswirkungen auf Beschaffungskosten. Mathematische Formalisierung des Optimierungsproblems.
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Vorstellung des Energy Application Frameworks der STROMDAO GmbH und der verwendeten Datengrundlage. Beschreibung der Berechnungsmethoden und des algorithmischen Ansatzes.
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Präsentation der empirischen Ergebnisse für verschiedene Standardlastprofile im Zeitraum 2023-2024. Detaillierte Analyse der saisonalen Effekte und Preisdynamiken.
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Kritische Diskussion der Implikationen für Beschaffungsstrategien und Break-Even-Analyse. Betrachtung energiepolitischer Aspekte, insbesondere im Kontext des EnWG §41a.
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Zusammenfassung der Kernerkenntnisse und Ausblick auf zukünftige Entwicklungen. Handlungsempfehlungen für verschiedene Marktteilnehmer und regulatorische Anpassungsvorschläge.
Autoren:
STROMDAO GmbH
Thorsten Zoerner
Gerhard Weiser Ring 29
69256 Mauer
Deutschland
+49 6226 9680090
Stand: November 2024
Version: 1.0
Abstract
Die vorliegende Studie untersucht die Auswirkungen variabler Stromtarife auf verschiedene Verbrauchergruppen im Kontext des Energiewirtschaftsgesetzes §41a Abs. 3. Basierend auf einer empirischen Analyse von Lastprofilen und EPEX Spot Preisdaten für die Jahre 2023 und 2024 werden die tatsächlichen Beschaffungskosten für unterschiedliche Standardlastprofile evaluiert.
Die Ergebnisse zeigen, dass neun von elf untersuchten Standardlastprofilen bei variablen Tarifen systematische Mehrkosten gegenüber dem Spotmarkt-Durchschnitt aufweisen. Während Gewerbekunden mit Tageslast (G1-Profil) Kostenvorteile von bis zu 34,89% realisieren können, entstehen insbesondere für landwirtschaftliche Profile Mehrkosten von bis zu 6,30%. Die Preisdifferenzen zwischen den Profilen erreichen im Untersuchungszeitraum Spitzenwerte von 19,26 €/MWh.
Die Analyse der monatlichen Entwicklung offenbart ausgeprägte saisonale Effekte und eine Verstärkung der Profilunterschiede bei sinkendem Gesamtpreisniveau. Diese Erkenntnisse stellen die pauschale regulatorische Verpflichtung zum Angebot variabler Tarife in Frage und legen eine differenziertere Betrachtung nach Verbrauchergruppen nahe.
Mithilfe des Energy Application Frameworks der STROMDAO GmbH werden Break-Even-Punkte für verschiedene Beschaffungsstrategien ermittelt und Handlungsempfehlungen für Energieversorger, Verbraucher und politische Entscheidungsträger abgeleitet. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass hybride Tarifmodelle, die verschiedene Beschaffungsstrategien kombinieren, den unterschiedlichen Lastprofilcharakteristika besser gerecht werden als rein variable Tarife.
Schlüsselwörter: Variable Stromtarife, Lastprofile, Beschaffungskosten, EnWG §41a, Energiemarkt, Empirische Analyse
1. Einführung
Die Energiewende verändert den deutschen Strommarkt grundlegend. Besonders deutlich zeigt sich dies an der zunehmenden Volatilität der Strompreise an den Großhandelsmärkten. Während Stromkunden bisher gewohnt waren, über längere Zeiträume konstante Preise zu zahlen, ermöglichen heute neue regulatorische Rahmenbedingungen und technische Entwicklungen die direkte Weitergabe von Börsenpreisen an Verbraucher. Diese Transformation stellt sowohl Energieversorger als auch Verbraucher vor neue Herausforderungen bei der Optimierung ihrer Strombeschaffung und ihres Verbrauchsverhaltens.
Der wirtschaftliche Mehrwert einer detaillierten Analyse dieser Entwicklung ergibt sich aus verschiedenen Perspektiven. Energieversorger stehen vor der Aufgabe, ihre Beschaffungsstrategien anzupassen und Preisrisiken zu minimieren. Gleichzeitig eröffnen sich Möglichkeiten für innovative Tarifmodelle und eine präzisere Kundensegmentierung. Für Endverbraucher geht es um fundierte Entscheidungen zwischen verschiedenen Tarifalternativen und die Realisierung potenzieller Kosteneinsparungen durch ein besseres Verständnis des eigenen Verbrauchsverhaltens. In diesem Umfeld etablieren sich zudem Energie Service Anbieter als neue Marktteilnehmer, die durch datenbasierte Dienstleistungen und automatisierte Tarifoptimierung einen Mehrwert für ihre Kunden schaffen.
Diese Studie verfolgt das Ziel, die Auswirkungen verschiedener Beschaffungsstrategien auf die Energiekosten systematisch zu untersuchen. Im Fokus steht dabei die Berechnung realer Kostendifferenzen zwischen verschiedenen Beschaffungsstrategien und die Ermittlung statistisch signifikanter Verbrauchsmuster. Durch die Entwicklung eines standardisierten Analyseverfahrens und die Integration von Echtzeitdaten mit historischen Preisen schaffen wir reproduzierbare Bewertungskriterien für die Energiewirtschaft.
Der methodische Ansatz basiert auf dem Energy Application Framework der STROMDAO GmbH und folgt einem mehrstufigen analytischen Prozess. In der ersten Phase erfolgt eine umfassende Datenerfassung und -aufbereitung, bei der reale Lastprofile von Testkunden mit EPEX Spot Preisdaten kombiniert werden. Das Framework ermöglicht die Implementierung skalierbarer Berechnungsalgorithmen und die Entwicklung statistischer Auswertungsroutinen. In einer Simulationsumgebung werden verschiedene Beschaffungsszenarien modelliert und Sensitivitätsanalysen durchgeführt. Die Validierung der Ergebnisse erfolgt durch Kreuzvalidierung mit realen Abrechnungsdaten und statistische Signifikanzprüfungen.
Die praktische Relevanz dieser Untersuchung zeigt sich in der Ableitung konkreter Handlungsempfehlungen für verschiedene Marktteilnehmer. Energieversorger erhalten Entscheidungsgrundlagen für die Entwicklung neuer Tarifmodelle und die Optimierung ihrer Beschaffungsstrategien. Verbraucher profitieren von einer transparenten Bewertung verschiedener Tarifoptionen. Energie Service Anbieter können die Erkenntnisse nutzen, um ihre Dienstleistungen weiterzuentwickeln und Automatisierungspotenziale zu erschließen.
In den folgenden Kapiteln werden zunächst die grundlegenden Begriffe und Zusammenhänge erläutert, bevor die detaillierte Analyse der verschiedenen Lastprofile und ihrer Auswirkungen auf die Beschaffungskosten folgt. Die Ergebnisse werden sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus regulatorischer Perspektive diskutiert, um abschließend Handlungsempfehlungen für die verschiedenen Marktteilnehmer abzuleiten.
2. Grundlagen und Definitionen
Im Zuge der Energiewende gewinnt der Begriff des Energiepreises eine neue Bedeutung. Traditionell kannten Verbraucher nur den Gesamtstrompreis “an der Steckdose”. Mit der zunehmenden Verbreitung variabler Stromtarife rückt jedoch der reine Energiepreis in den Fokus, der sich unmittelbar aus den Beschaffungskosten für elektrische Energie ergibt. Dieser “Nettopreis” wird in Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh) gemessen und bildet die Grundlage für neue, dynamische Tarifmodelle.
Der Energiepreis stellt dabei nur einen Teil des Gesamtstrompreises dar. Der Endverbraucher zahlt zusätzlich Netznutzungsentgelte für den Transport des Stroms, verschiedene Steuern wie die Stromsteuer und die Mehrwertsteuer, sowie diverse Umlagen und Abgaben. Auch die Kosten für den Messstellenbetrieb und die Vertriebskosten des Energieversorgers sind im Energiepreis nicht enthalten. Diese klare Trennung zwischen dem reinen Energiepreis und den weiteren Preisbestandteilen gewinnt mit der Einführung variabler Tarife an Bedeutung, da hier nur der Energiepreisanteil den Schwankungen des Börsenpreises folgt.
Die Preisbildung am Strommarkt erfolgt über zwei wesentliche Wege: den kurzfristigen Börsenhandel und langfristige Beschaffungsstrategien. An der EPEX Spot, der europäischen Strombörse, werden stündlich neue Preise auf Basis von Angebot und Nachfrage ermittelt. Diese Preise können erheblich schwanken und reagieren sensibel auf Faktoren wie Wetterbedingungen, Kraftwerksverfügbarkeiten oder unerwartete Ereignisse. Die hohe Volatilität der Börsenpreise bietet einerseits Chancen für günstige Beschaffung, birgt andererseits aber auch erhebliche Risiken.
Als Gegenpol zum volatilen Börsenhandel dienen langfristige Beschaffungsstrategien der Risikominimierung. Ein wichtiges Instrument sind dabei Power-Purchase-Agreements (PPA), bei denen Energieversorger direkte Lieferverträge mit Stromerzeugern abschließen. Diese Verträge garantieren über längere Zeiträume feste Preise und Abnahmemengen. Sie werden häufig als Base- und Peak-Produkte ausgestaltet, die unterschiedliche Lastprofile abdecken. Der Großteil der Strommengen in Deutschland wird heute über solche bilateralen Verträge gehandelt, die als Over-The-Counter (OTC) Geschäfte direkt zwischen den Handelspartnern vereinbart werden.
Die Wahl der Beschaffungsstrategie hat unmittelbare Auswirkungen auf die Tarifgestaltung für Endkunden. Während dynamische Tarife die stündlichen Börsenpreise direkt an die Verbraucher weitergeben, basieren konventionelle Tarife auf einer ausgewogenen Mischung aus langfristiger Beschaffung und kurzfristiger Optimierung. Energieversorger müssen dabei eine Balance zwischen Planungssicherheit und Flexibilität finden.
Die Bedeutung dieser unterschiedlichen Beschaffungswege wird durch neue regulatorische Anforderungen noch verstärkt. Energieversorger sind zunehmend verpflichtet, ihren Kunden variable Tarife anzubieten, die auf den Börsenpreisen basieren. Diese Entwicklung erfordert ein tiefgreifendes Verständnis der verschiedenen Preiskomponenten und Beschaffungsstrategien, um sowohl für Versorger als auch für Verbraucher optimale Lösungen zu entwickeln.
3. Motivation
Transformation der Strombeschaffung
Die Strombeschaffung befindet sich in einem fundamentalen Wandel. Das klassische Modell, bei dem Energieversorger durch langfristige Verträge Planungssicherheit schaffen und Preisrisiken minimieren, wird zunehmend durch dynamischere Beschaffungskonzepte ergänzt oder ersetzt. An der EPEX Spot bilden sich stündlich neue Preise für elektrische Energie, die von wenigen Cent bis zu mehreren Euro je Kilowattstunde reichen können. Diese Volatilität stellt die Energiewirtschaft vor neue Herausforderungen, eröffnet aber auch Chancen für innovative Geschäftsmodelle.
Optimierungsherausforderungen für Energieversorger
Energieversorger stehen dabei vor einem komplexen Optimierungsproblem. Langfristige Verträge bieten zwar Planungssicherheit, können aber in Phasen niedriger Börsenpreise zu höheren Durchschnittskosten führen. Eine reine Börsenstrombeschaffung ermöglicht dagegen die Nutzung günstiger Preisphasen, setzt die Versorger jedoch erheblichen Risiken bei Preisspitzen aus. Die Entwicklung einer ausgewogenen Mischstrategie erfordert ein komplexes Portfolio-Management, das sowohl Risiken als auch Chancen berücksichtigt.
Auswirkungen auf Endkunden und neue Marktmechanismen
Diese Entwicklung hat direkte Auswirkungen auf die Endkunden. Während konventionelle Tarife mit festen Preisen die langfristige Beschaffung widerspiegeln, übertragen dynamische Tarife die Chancen und Risiken der Börsenpreise direkt auf den Verbraucher. Die optimale Wahl zwischen diesen Tarifalternativen hängt maßgeblich vom individuellen Verbrauchsverhalten ab und erfordert eine sorgfältige Analyse des eigenen Lastprofils.
Ein wichtiger Katalysator für diese Entwicklung ist die Einführung des beschleunigten Lieferantenwechsels in 24 Stunden (LFW24). Diese technische und regulatorische Innovation ermöglicht es Verbrauchern, flexibel zwischen verschiedenen Tarifen und Anbietern zu wechseln. Die schnelle Reaktionsfähigkeit eröffnet neue Möglichkeiten zur Optimierung der Energiekosten, etwa durch automatisierte Tarifwechsel basierend auf Preisprognosen und Verbrauchsmustern.
Neue Marktakteure und Digitalisierung
In diesem dynamischen Marktumfeld etabliert sich zudem eine neue Kategorie von Dienstleistern: die Energie Service Anbieter (ESA). Diese spezialisierten Unternehmen analysieren individuelle Lastprofile, entwickeln maßgeschneiderte Beschaffungsstrategien und optimieren den Strombezug im Auftrag ihrer Kunden. Durch professionelles Management der Tarif- und Lieferantenwahl können sie Einsparpotenziale erschließen, die für einzelne Verbraucher schwer zugänglich wären.
Zukunftsorientierte Marktentwicklung
Die Bedeutung einer genauen Analyse von Lastprofilen und deren Verhältnis zu Beschaffungspreisen nimmt damit kontinuierlich zu. Energieversorger müssen ihre Strategien an die neuen Marktbedingungen anpassen und zwischen langfristiger Planungssicherheit und kurzfristigen Marktchancen abwägen. Endkunden profitieren von neuen Optimierungsmöglichkeiten durch dynamische Tarife und schnelle Lieferantenwechsel. Die fortschreitende Digitalisierung ermöglicht dabei zunehmend automatisierte Entscheidungen basierend auf detaillierten Lastprofilanalysen.
Die systematische Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Verbrauchsverhalten und Beschaffungskosten wird damit zu einem Schlüsselfaktor für die erfolgreiche Gestaltung der Energiezukunft. Nur durch ein tiefgreifendes Verständnis dieser Zusammenhänge können Energieversorger wettbewerbsfähige Angebote entwickeln und Verbraucher fundierte Entscheidungen über ihre Energieversorgung treffen.
4. Problemstellung
Die zentrale Herausforderung bei der Bewertung verschiedener Strombeschaffungsstrategien liegt in der komplexen Wechselwirkung zwischen zeitlichem Verbrauchsverhalten und dynamischen Marktpreisen. Das Verbrauchsmuster eines Stromkunden, dargestellt durch sein individuelles Lastprofil, bestimmt maßgeblich die tatsächlichen Beschaffungskosten bei börslichen Strompreisen. Diese Beziehung gewinnt durch die zunehmende Verbreitung dynamischer Tarife erheblich an Bedeutung.
Die Analyse wird durch die hohe Individualität der Verbrauchsmuster erschwert. Zwar existieren standardisierte Lastprofile für verschiedene Verbrauchergruppen, doch diese bilden nur durchschnittliche Verbrauchsmuster ab. In der Realität weichen einzelne Verbraucher oft erheblich von diesen Standardprofilen ab. Besonders deutlich zeigt sich diese Problematik bei der Aggregation mehrerer Kundenprofile: Das Gesamtlastprofil eines Energieversorgers kann völlig andere Charakteristiken aufweisen als die zugrunde liegenden Einzelprofile.
Eine präzise Kostenkalkulation erfordert die Integration verschiedener Datendimensionen. Neben stundengenauen Verbrauchsdaten müssen die korrespondierenden Börsenpreise berücksichtigt werden. Saisonale Schwankungen sowohl im Verbrauch als auch in den Preisen spielen eine wichtige Rolle. Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei Preisspitzen und -täler, die einen überproportionalen Einfluss auf die Durchschnittskosten haben können.
Für eine fundierte Analyse lässt sich die Problemstellung mathematisch formalisieren:
Gegeben ist eine Zeitreihe L(t) des Stromverbrauchs (Lastprofil) und eine Zeitreihe P(t) der Börsenpreise über einen Zeitraum T mit stündlicher Auflösung. Als Vergleichsgröße dient ein alternativer Festpreis PFix. Gesucht sind die durchschnittlichen Beschaffungskosten KB bei börslichem Bezug, berechnet als gewichteter Durchschnitt der stündlichen Kosten:
KB = Σ(L(t) * P(t)) / Σ(L(t)) für t ∈ T
Diese Kosten müssen den Vergleichskosten KF bei Festpreis (KF = PFix) gegenübergestellt werden. Die Differenz ΔK = KB - KF gibt Aufschluss über die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit der jeweiligen Beschaffungsstrategie.
Die besondere Herausforderung liegt in der effizienten Verarbeitung großer Zeitreihendaten und der Identifikation charakteristischer Muster, die Rückschlüsse auf optimale Beschaffungsstrategien ermöglichen. Dabei müssen verschiedene Fragen beantwortet werden: Welche Tarifart ist für welches Lastprofil optimal? Wie stark weichen die realen Kosten von Standardannahmen ab? Welche Einsparpotenziale bietet die dynamische Tarifwahl?
Die Beantwortung dieser Fragen erfordert nicht nur eine rein mathematische Analyse, sondern auch die Berücksichtigung praktischer Limitationen. Verbraucher haben oft nur begrenzte Möglichkeiten, ihr Lastprofil anzupassen. Die Implementierung optimierter Beschaffungsstrategien setzt zudem eine entsprechende technische Infrastruktur voraus. Diese Rahmenbedingungen müssen bei der Entwicklung praxistauglicher Lösungen berücksichtigt werden.
Die hier skizzierte Problemstellung bildet die Grundlage für die nachfolgende methodische Entwicklung eines analytischen Frameworks, das diese komplexen Zusammenhänge systematisch erfasst und auswertet.
5. Methodik
Die systematische Analyse der Zusammenhänge zwischen Lastprofilen und Beschaffungskosten erfordert einen strukturierten methodischen Ansatz. Im Zentrum der Untersuchung steht das von STROMDAO entwickelte Energy Application Framework, das speziell für die Verarbeitung und Analyse energiewirtschaftlicher Zeitreihendaten konzipiert wurde. Dieses Framework ermöglicht die Integration verschiedener Datenquellen, die automatisierte Berechnung von Durchschnittskosten und die skalierbare Analyse multipler Lastprofile.
Die Datengrundlage der Untersuchung basiert auf zwei Hauptquellen: Zum einen werden reale Verbrauchsdaten von Testkunden in stündlicher Auflösung über den Zeitraum eines Jahres erfasst. Diese werden durch standardisierte Lastprofile (SLP) ergänzt, die als Referenzgröße dienen. Dabei werden sowohl Haushaltsprofile (H0) als auch verschiedene Gewerbe- (G0-G6) und Landwirtschaftsprofile (L0-L2) berücksichtigt. Die zweite zentrale Datenquelle sind die EPEX Spot Marktdaten, die durch historische Preiszeitreihen und Referenzpreise aus langfristigen Lieferverträgen komplettiert werden.
Der Berechnungsprozess folgt einem mehrstufigen Ansatz. In der ersten Phase werden die Verbrauchsdaten mit den entsprechenden Preisdaten synchronisiert. Für jeden Zeitpunkt t wird der Verbrauchswert mit dem korrespondierenden Spotmarktpreis verknüpft:
loadProfile.map((value, timestamp) => {
return {
consumption: value,
price: spotPrice[timestamp],
costs: value * spotPrice[timestamp]
}
});
Aus diesen Grunddaten werden die durchschnittlichen Beschaffungskosten ermittelt:
const averageCosts = totalCosts / totalConsumption;
Die methodische Innovation liegt in der algorithmischen Umsetzung der Analyse. Der entwickelte Algorithmus verarbeitet die Zeitreihendaten effizient und ermöglicht die Berechnung verschiedener Kennzahlen:
Algorithmus: Berechnung optimaler Beschaffungsstrategien
Der Algorithmus nimmt als Eingabe eine Zeitreihe T mit stündlicher Auflösung, ein Lastprofil L als Funktion von T in die positiven reellen Zahlen, eine Preiszeitreihe P ebenfalls als Funktion von T und einen alternativen Festpreis PFix. Er berechnet die durchschnittlichen Beschaffungskosten bei Börsenpreisen (KB), die Kosten bei Festpreis (KF), die Kostendifferenz (ΔK) und die Standardabweichung der stündlichen Kosten (σ).
Die Prozedur läuft in linearer Zeit (O(n)) bezüglich der Länge der Zeitreihe und benötigt linearen Speicherplatz für die Zwischenergebnisse. Diese Effizienz ermöglicht die Analyse großer Datenmengen und die schnelle Berechnung verschiedener Szenarien.
Die Validierung der Ergebnisse erfolgt durch mehrere Kontrollmechanismen. Zunächst werden die berechneten Werte durch Kreuzvalidierung mit realen Abrechnungsdaten überprüft. Eine Sensitivitätsanalyse untersucht die Robustheit der Ergebnisse gegenüber Preisschwankungen. Schließlich erfolgt eine statistische Auswertung, die signifikante Muster und Zusammenhänge identifiziert.
Diese methodische Herangehensweise gewährleistet nicht nur die wissenschaftliche Validität der Ergebnisse, sondern stellt auch deren praktische Anwendbarkeit sicher. Die Kombination aus effizienter Datenverarbeitung, präziser algorithmischer Analyse und sorgfältiger Validierung bildet die Grundlage für belastbare Handlungsempfehlungen im dynamischen Umfeld der Energiewirtschaft.
6. Ergebnisse
Die empirische Analyse der Lastprofile und ihrer Auswirkungen auf die Beschaffungskosten liefert aufschlussreiche Erkenntnisse über die Wirtschaftlichkeit verschiedener Beschaffungsstrategien. Um diese Ergebnisse einordnen zu können, ist zunächst ein Verständnis der untersuchten Standardlastprofile erforderlich.
Das Haushaltsprofil (H0) charakterisiert den typischen Stromverbrauch privater Haushalte mit ausgeprägten Verbrauchsspitzen am Morgen und am Abend. Im gewerblichen Bereich unterscheiden wir mehrere Profile: Das allgemeine Gewerbeprofil (G0) bildet den Durchschnittsverbrauch kleinerer und mittlerer Unternehmen ab. G1 repräsentiert Betriebe mit Schwerpunkt während der Kernarbeitszeit (8-18 Uhr), während G2 Unternehmen mit verstärktem Abendverbrauch abbildet. G3 steht für Betriebe mit durchlaufendem Verbrauch, G4 für den typischen Einzelhandel, G5 für Bäckereien mit früher Produktion und G6 für Wochenendbetriebe. Im landwirtschaftlichen Sektor unterscheiden wir zwischen dem allgemeinen Landwirtschaftsprofil (L0), Betrieben mit Milchwirtschaft (L1) und der übrigen Landwirtschaft (L2).
Die Analyse der Beschaffungskosten im Jahr 2023 zeigt einen durchschnittlichen EPEX Spot Preis von 99,39 €/MWh. Bemerkenswert ist die deutliche Spreizung der profilspezifischen Beschaffungskosten: Während das G1-Profil mit 96,66 €/MWh den günstigsten Durchschnittspreis erreichte, lag das L1-Profil mit 105,65 €/MWh deutlich über dem Marktdurchschnitt. Diese Differenz von fast 9 €/MWh verdeutlicht die erhebliche wirtschaftliche Relevanz des Lastprofils.
Im Vergleichszeitraum Januar bis September 2024 zeigt sich ein deutlich niedrigeres Preisniveau mit einem EPEX Spot Durchschnitt von 71,98 €/MWh. Die folgende Übersicht verdeutlicht die Entwicklung der verschiedenen Lastprofile im Vergleich:
Lastprofil | 2023 (€/MWh) | 2024 (€/MWh) | Δ absolut | Δ relativ |
---|---|---|---|---|
H0 | 100,56 | 72,66 | -27,90 | -27,75% |
G0 | 98,79 | 68,61 | -30,18 | -30,55% |
G1 | 96,66 | 62,94 | -33,72 | -34,89% |
G2 | 102,61 | 73,50 | -29,11 | -28,37% |
G3 | 99,27 | 71,25 | -28,02 | -28,23% |
G4 | 99,72 | 69,71 | -30,01 | -30,09% |
G5 | 101,33 | 72,64 | -28,69 | -28,31% |
G6 | 100,00 | 70,99 | -29,01 | -29,01% |
L0 | 103,72 | 74,60 | -29,12 | -28,07% |
L1 | 105,65 | 76,59 | -29,06 | -27,51% |
L2 | 102,36 | 73,27 | -29,09 | -28,42% |
Die Tabelle zeigt eindrücklich die Verstärkung der relativen Spreizung zwischen den Profilen in diesem Zeitraum. Das G1-Profil konnte seinen Kostenvorteil auf 62,94 €/MWh ausbauen, während das L1-Profil mit 76,59 €/MWh weiterhin die höchsten Beschaffungskosten aufwies. Die maximale Preisdifferenz zwischen den Profilen stieg auf 13,65 €/MWh.
Monatliche Preisentwicklung 2024
Besonders aufschlussreich ist die monatliche Entwicklung im Jahr 2024. Der Januar startete mit einem hohen Preisniveau von 81,13 €/MWh, gefolgt von einem deutlichen Rückgang auf 64,62 €/MWh im Februar. Die niedrigsten Durchschnittspreise wurden im April mit 62,78 €/MWh erreicht. Ab August zeigte sich wieder ein deutlicher Aufwärtstrend mit Preisen um 80 €/MWh.
Saisonale Charakteristika der Lastprofile
Die saisonale Analyse offenbart charakteristische Muster: Gewerbeprofile, insbesondere G1, profitieren stark von niedrigeren Preisen in den Sommermonaten. Im Winter nivellieren sich die Unterschiede teilweise. Landwirtschaftsprofile zeigen durchgängig höhere Beschaffungskosten, wobei die Aufschläge in den Übergangsmonaten besonders ausgeprägt sind. Das Haushaltsprofil H0 weist moderate saisonale Schwankungen auf, tendiert aber in der Übergangszeit zu höheren Preisen.
Extremwerte der Preisspreizung
Die größte Preisspreizung zwischen den Profilen wurde im September 2024 mit 19,26 €/MWh zwischen G1 und L1 beobachtet. Die geringste Spreizung trat im Februar mit 3,87 €/MWh zwischen G3 und L1 auf. Diese Dynamik unterstreicht die zunehmende Bedeutung saisonaler Faktoren für die Beschaffungsstrategie.
Schlussfolgerungen aus der empirischen Analyse
Die empirischen Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Optimierung der Beschaffungsstrategie nicht nur profilspezifisch, sondern auch saisonal angepasst werden sollte. Die beobachteten Kostendifferenzen sind wirtschaftlich signifikant und rechtfertigen den Aufwand einer differenzierten Betrachtung. Besonders bemerkenswert ist, dass die relative Bedeutung der Profilunterschiede auch bei niedrigerem Gesamtpreisniveau bestehen bleibt oder sogar zunimmt.
7. Diskussion
Implikationen für das Portfolio-Management
Die empirischen Ergebnisse dieser Studie offenbaren weitreichende Implikationen für die Beschaffungsstrategien der Energiewirtschaft. Das Portfolio-Management der Energieversorger steht vor der Herausforderung, zunehmend lastprofilspezifische Beschaffungsstrategien zu entwickeln. Die Analyse zeigt, dass Mischportfolios einer differenzierten Steuerung bedürfen, die sowohl die charakteristischen Merkmale der verschiedenen Lastprofile als auch saisonale Effekte berücksichtigt.
Profilspezifische Risikobetrachtung und innovative Ansätze
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Risikosteuerung. Landwirtschaftliche Profile (L0-L2) erfordern aufgrund ihrer systematisch höheren Beschaffungskosten und stärkeren saisonalen Schwankungen höhere Risikoaufschläge. Im Gegensatz dazu bieten Gewerbeprofile, insbesondere G1 mit seinem Schwerpunkt während der Kernarbeitszeit, erhebliches Optimierungspotenzial. Haushaltsprofile (H0) nehmen eine Mittelstellung ein und erfordern eine moderate Absicherungsstrategie.
Innovative Ansätze in der Beschaffung kombinieren zunehmend Base-Last-Absicherungen mit flexibler Spotmarkt-Beschaffung. Diese Hybridstrategien ermöglichen es, Preisvorteile zu nutzen und gleichzeitig Risiken zu begrenzen. Die Integration von Wetterprognosen in die Beschaffungsplanung gewinnt dabei an Bedeutung, da meteorologische Faktoren sowohl die Erzeugung erneuerbarer Energien als auch verschiedene Verbrauchsmuster beeinflussen.
Break-Even-Analyse und Handlungsempfehlungen
Eine Break-Even-Analyse verdeutlicht die Schwellenwerte für wirtschaftlich sinnvolle Beschaffungsstrategien. Für G1-Profile liegt der Break-Even-Point bei einem Festpreis etwa 3% über dem Spotmarkt-Durchschnitt - diese Kundengruppe profitiert also besonders von dynamischen Tarifen. G0-Profile zeigen einen Break-Even bei etwa 1% über dem Spotmarkt-Durchschnitt. Dagegen benötigen H0-Profile Festpreise mindestens 1% unter dem Spotmarkt-Durchschnitt, um wirtschaftlich vorteilhaft zu sein. Bei landwirtschaftlichen Profilen, insbesondere L1, muss der Festpreis sogar 3% oder mehr unter dem Spotmarkt-Durchschnitt liegen, um die höheren Beschaffungsrisiken zu kompensieren.
Diese Erkenntnisse führen zu differenzierten Handlungsempfehlungen für die verschiedenen Marktteilnehmer. Energieversorger sollten ihre Beschaffungsstrategien stärker nach Kundenportfolios segmentieren und ein dynamisches Portfolio-Management implementieren. Die Entwicklung von Prognosefähigkeiten für Lastprofile wird zu einer Kernkompetenz. Im Produktbereich empfiehlt sich die Entwicklung hybrider Tarifmodelle, die profilspezifische Elemente mit Automatisierungslösungen verbinden.
Zielgruppenspezifische Empfehlungen
Endkunden müssen ihre Tarifwahl ebenfalls differenzierter betrachten. Gewerbekunden mit G1-Profil sollten vorrangig dynamische Tarife in Erwägung ziehen, während G0-Profile von hybriden Modellen profitieren können. Haushaltskunden fahren meist besser mit einer Grundlastabsicherung durch Festpreisanteile, sollten aber Flexibilitätspotenziale durch Smart-Meter-Daten identifizieren. Landwirtschaftskunden sollten den Fokus auf langfristige Preissicherheit legen und Eigenversorgungsoptionen prüfen.
Energiepolitische und volkswirtschaftliche Implikationen
Von besonderer Bedeutung sind die energiepolitischen Implikationen dieser Ergebnisse. Die aktuelle Regulierung im EnWG § 41a Abs. 3, die eine Verpflichtung zum Angebot variabler Tarife vorsieht, erscheint im Licht der empirischen Daten problematisch. Die Analyse zeigt, dass 9 von 11 untersuchten Standardlastprofile bei variablen Tarifen systematische Mehrkosten gegenüber dem Spotmarkt-Durchschnitt aufweisen. Diese Risikoverlagerung von den Energieversorgern, die traditionell durch professionelles Portfoliomanagement Preisschwankungen ausgleichen, auf die Verbraucher führt zu suboptimalen Ergebnissen.
Die volkswirtschaftliche Perspektive offenbart weitere Ineffizienzen. Der Verlust von Portfolioeffekten, erhöhte Transaktionskosten und eine suboptimale Risikoallokation führen zu steigenden Systemkosten. Die fragmentierte Beschaffung erhöht die Volatilität und den Bedarf an Ausgleichsenergie. Zusätzliche IT- und Verwaltungskosten belasten das System.
Als Konsequenz empfiehlt sich eine Überarbeitung der pauschalen Verpflichtung zu variablen Tarifen zugunsten einer differenzierteren, zielgruppenspezifischen Regulierung. Flankierende Maßnahmen wie verpflichtende Verbraucherinformationen über Risiken, standardisierte Vergleichsinstrumente und die Förderung von Energiemanagement-Tools erscheinen sinnvoll. Die Stärkung professioneller Marktakteure, insbesondere der Energie Service Anbieter, könnte die Effizienz des Systems verbessern.
Einordnung in aktuelle Studienergebnisse
Die vorliegenden Ergebnisse decken sich in wesentlichen Punkten mit der aktuellen Studie der Verbraucherzentrale Bundesverband (Oktober 2024) zur Verbraucherfreundlichkeit dynamischer und variabler Stromtarife. Beide Untersuchungen identifizieren zentrale Herausforderungen bei der Transparenz der Tarifgestaltung und dem Umgang mit Preisrisiken. Die hier durchgeführte lastprofilspezifische Analyse ergänzt diese Erkenntnisse um wichtige quantitative Aspekte:
-
Differenzierte Kostenwirkungen
- Die Verbraucherzentrale weist auf generelle Kostenrisiken hin
- Unsere Analyse quantifiziert diese Risiken für verschiedene Verbrauchergruppen
- Besonders problematisch erscheinen die systematischen Mehrkosten für 9 von 11 Standardlastprofilen
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Ergänzende Handlungsempfehlungen
- Die Verbraucherzentrale fordert standardisierte Informationspflichten und Preisdeckel
- Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit profilspezifischer Schutzmechanismen
- Besonders für landwirtschaftliche Profile und Haushalte sind zusätzliche Absicherungen erforderlich
-
Systemische Perspektive
- Beide Studien sehen Optimierungsbedarf bei Vergleichsportalen
- Die hier aufgezeigte lastprofilbasierte Kostendifferenzierung sollte in Vergleichstools integriert werden
- Verbraucher benötigen profilspezifische Entscheidungshilfen
Diese übereinstimmenden Erkenntnisse aus unterschiedlichen empirischen Ansätzen verstärken die Forderung nach einer Überarbeitung der pauschalen Verpflichtung zu variablen Tarifen. Stattdessen erscheint eine differenzierte Regulierung notwendig, die die spezifischen Charakteristika und Risiken verschiedener Verbrauchergruppen berücksichtigt und entsprechende Schutzmaßnahmen vorsieht.
8. Fazit
Zentrale Erkenntnisse der Studie
Die vorliegende Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Lastprofilen und Beschaffungskosten im dynamischen Strommarkt führt zu grundlegenden Erkenntnissen für die zukünftige Gestaltung der Energiewirtschaft. Die empirische Analyse zeigt eindeutig, dass die Mehrheit der Verbrauchergruppen bei variablen Tarifen systematische Mehrkosten gegenüber dem Spotmarkt-Durchschnitt zu tragen hat. Lediglich Gewerbekunden mit Tageslast (G1-Profil) können konsistent Preisvorteile realisieren. Besonders bemerkenswert ist die durchgängig ungünstige Position landwirtschaftlicher Profile, die strukturell höhere Beschaffungskosten aufweisen.
Die zeitliche Entwicklung von 2023 zu 2024 offenbart eine interessante Dynamik: Trotz eines allgemeinen Preisrückgangs verstärkte sich die relative Spreizung zwischen den Profilen. Dies deutet darauf hin, dass die Bedeutung lastprofilspezifischer Optimierung auch bei niedrigerem Preisniveau nicht abnimmt, sondern eher zunimmt. Die beobachteten Preisdifferenzen von bis zu 19,26 €/MWh zwischen verschiedenen Profilen unterstreichen die erhebliche wirtschaftliche Relevanz dieser Entwicklung.
Konsequenzen für die Energiewirtschaft und Regulierung
Für die Energiewirtschaft ergeben sich hieraus weitreichende Konsequenzen. Die Notwendigkeit differenzierter Portfoliostrategien wird zum strategischen Imperativ für Energieversorger. Professionelles Risikomanagement und präzise Prognosefähigkeiten entwickeln sich zu entscheidenden Wettbewerbsfaktoren. In der Produktentwicklung zeichnet sich ein Trend zu hybriden Tarifmodellen ab, die eine Balance zwischen Planungssicherheit und Marktchancen ermöglichen.
Die energiepolitischen Implikationen dieser Erkenntnisse sind beträchtlich. Die aktuelle Regulierung zur verpflichtenden Einführung variabler Tarife erscheint in ihrer pauschalen Form problematisch. Sie überträgt Risiken auf Verbrauchergruppen, die weder über die notwendigen Instrumente zur Risikosteuerung verfügen, noch von den potenziellen Vorteilen dynamischer Preise profitieren können. Eine Überarbeitung der regulatorischen Rahmenbedingungen sollte die empirisch nachgewiesenen Profilunterschiede berücksichtigen und verbrauchergruppenspezifische Lösungen ermöglichen.
Marktentwicklung und Zukunftsperspektiven
Der Ausblick auf die kurzfristige Marktentwicklung lässt eine zunehmende Differenzierung der Tariflandschaft erwarten. Spezialisierte Dienstleistungen und technologische Innovationen im Energiemanagement werden diese Entwicklung unterstützen. Das Verbraucherverhalten dürfte sich durch wachsende Lastflexibilität und bessere Informationsgrundlagen weiter entwickeln, was neue Optimierungspotenziale erschließt.
Langfristig zeichnen sich fundamentale strukturelle Veränderungen ab. Die fortschreitende Integration erneuerbarer Energien und die Digitalisierung der Energiewirtschaft werden die Komplexität der Beschaffungsoptimierung weiter erhöhen. Energieversorger entwickeln sich zunehmend zu Energiedienstleistern, die ihren Kunden umfassende Optimierungslösungen anbieten. Diese Transformation erfordert erhebliche Investitionen in technologische Infrastruktur und Kompetenzaufbau.
Forschungsbedarf und abschließende Bewertung
Die Forschung steht vor der Aufgabe, Prognosemodelle weiterzuentwickeln und Verhaltensänderungen der Marktteilnehmer systematisch zu analysieren. Die Evaluation regulatorischer Maßnahmen wird angesichts der komplexen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Marktmechanismen zu einer kontinuierlichen Herausforderung.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine pauschale Verpflichtung zu variablen Tarifen den Unterschieden zwischen verschiedenen Verbrauchergruppen nicht gerecht wird. Die Zukunft liegt in einer hybriden Tariflandschaft, die verschiedene Beschaffungsstrategien intelligent kombiniert und dabei die spezifischen Charakteristika unterschiedlicher Lastprofile berücksichtigt. Der Erfolg dieser Transformation wird maßgeblich von der Fähigkeit abhängen, technologische Innovationen mit verbraucherfreundlichen Lösungen zu verbinden und dabei die Balance zwischen Markteffektivität und Verbraucherschutz zu wahren.
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
- BNetzA
- Bundesnetzagentur
- ct/kWh
- Cent pro Kilowattstunde
- EnWG
- Energiewirtschaftsgesetz
- EPEX
- European Power Exchange (Europäische Strombörse)
- ESA
- Energie Service Anbieter
- G0-G6
- Standardlastprofile für Gewerbekunden (verschiedene Kategorien)
- H0
- Standardlastprofil für Haushaltskunden
- L0-L2
- Standardlastprofile für landwirtschaftliche Betriebe
- LFW24
- Lieferantenwechsel in 24 Stunden
- MWh
- Megawattstunde
- OTC
- Over-The-Counter (außerbörslicher Handel)
- PPA
- Power Purchase Agreement (Strombezugsvertrag)
- SLP
- Standardlastprofil
Glossar
- Base-Load
- Grundlast; der kontinuierliche, gleichmäßige Strombedarf über 24 Stunden
- Beschaffungskosten
- Kosten, die einem Energieversorger beim Einkauf von Strom entstehen
- Börsenpreis
- An der Strombörse ermittelter Preis für eine Megawattstunde Strom
- Dynamischer Tarif
- Stromtarif, bei dem sich der Preis in kurzen Zeitabständen (meist stündlich) an den Börsenpreis anpasst
- Energiepreis
- Reiner Beschaffungspreis für elektrische Energie ohne weitere Preisbestandteile
- Festpreis
- Über einen bestimmten Zeitraum konstanter Strompreis
- Lastprofil
- Zeitlicher Verlauf des Stromverbrauchs eines Kunden oder einer Kundengruppe
- Peak-Load
- Spitzenlast; erhöhter Strombedarf zu bestimmten Tageszeiten
- Portfolio-Management
- Steuerung der Strombeschaffung durch verschiedene Beschaffungsarten und -zeitpunkte
- Spotmarkt
- Handelssegment der Strombörse für kurzfristige Stromlieferungen
- Standardlastprofil
- Typisiertes Verbrauchsmuster für bestimmte Kundengruppen
- Variable Tarife
- Stromtarife mit zeitlich veränderlichen Preisen, die sich an Börsenpreisen orientieren
Standardlastprofile im Detail
- G0
- Gewerbe allgemein
- G1
- Gewerbe werktags 8-18 Uhr
- G2
- Gewerbe mit Schwerpunkt in den Abendstunden
- G3
- Gewerbe durchlaufend
- G4
- Laden/Friseur
- G5
- Bäckerei mit Backstube
- G6
- Wochenendbetrieb
- H0
- Haushalt
- L0
- Landwirtschaft allgemein
- L1
- Landwirtschaft mit Milchwirtschaft/Nebenerwerb
- L2
- Übrige Landwirtschaft