Die Stromversorgung ist ein komplexes und hochdynamisches System, das viele Akteure und Technologien miteinander vernetzt. In Deutschland spielen nicht nur Kraftwerke und Netzbetreiber, sondern auch der Handel an der Strombörse eine entscheidende Rolle. Der Strompreis, den Verbraucher letztlich zahlen, ist jedoch ein Gemisch aus verschiedenen Kostenfaktoren. Dieser Artikel wirft einen Blick darauf, welche Bestandteile in den Strompreis einfließen, welche Faktoren den Preis an der Börse beeinflussen und warum dieser Preis nicht unbedingt das widerspiegelt, was Haushalte tatsächlich zahlen.
Die Entwicklung des Strompreises in Deutschland
Vor rund zwanzig Jahren bestand der Strompreis vor allem aus den Kosten für die Brennstoffe, die zur Stromerzeugung benötigt wurden, sowie einem Aufschlag für die Infrastruktur. Die Infrastrukturkosten, also die Kosten für den Bau und die Instandhaltung von Stromnetzen, wurden über die Lebenszeit der Netze auf den Strompreis umgelegt. Doch mit der Liberalisierung des Energiemarktes und dem Einstieg der erneuerbaren Energien hat sich die Struktur des Strompreises erheblich verändert.
Heute besteht der Strompreis für Endverbraucher in Deutschland aus mehreren Komponenten:
- Energiebeschaffung und Vertrieb: Dieser Anteil umfasst die Kosten für die Beschaffung des Stroms an der Börse sowie den Vertrieb.
- Netzentgelte: Sie decken die Kosten für den Betrieb, die Instandhaltung und den Ausbau der Übertragungs- und Verteilnetze ab.
- Steuern, Abgaben und Umlagen: Dazu gehören die Stromsteuer und die Konzessionsabgaben.
Diese Aufteilung zeigt, dass der reine Beschaffungspreis des Stroms, also der Preis, zu dem Energieunternehmen Strom an der Börse kaufen, nur einen Teil des Endpreises ausmacht. Tatsächlich ist dieser Anteil sogar geringer als die Gesamtkosten für Netzentgelte und Abgaben.
Die Rolle der Strombörse und der Spotmarktpreis
Ein wesentlicher Bestandteil des Strompreises wird an der Strombörse bestimmt. An der europäischen Strombörse EPEX Spot wird täglich Strom für Deutschland gehandelt, wobei die Preise stündlich und sogar viertelstündlich schwanken. Die Idee hinter dieser Börse ist, dass Angebot und Nachfrage in einem freien Markt aufeinandertreffen und sich ein fairer Preis bildet. Die Börse behandelt Deutschland dabei wie eine große „Kupferplatte“ – ein Modell, das annimmt, dass der Strom flächendeckend und ohne Hindernisse im ganzen Land verteilt werden kann. In der Realität sieht dies jedoch anders aus.
Das deutsche Stromnetz ist kein homogenes System. Regionale Unterschiede in der Erzeugung (vor allem durch erneuerbare Energien) und im Verbrauch führen zu Engpässen, die durch Redispatch und andere Maßnahmen ausgeglichen werden müssen. Diese Anpassungen, die notwendig sind, weil das Land eben keine „Kupferplatte“ ist, erzeugen zusätzliche Kosten, die nicht im Börsenpreis reflektiert sind.
Börsenpreise vs. Endkundenpreise
Der Börsenpreis für Strom schwankt stark, da er abhängig von vielen Faktoren wie Wetter, Verbrauchszeiten und Kraftwerkskapazitäten ist. Für den Endverbraucher ist es aber irrelevant, dass der Strom am Spotmarkt zeitweise sehr günstig oder sogar negativ ist. Die Differenz zwischen dem Börsenpreis und dem tatsächlichen Preis, den Haushalte zahlen, ist erheblich und hat zwei wesentliche Gründe:
- Netzkosten: Da Deutschland nicht als Kupferplatte funktioniert, müssen zusätzliche Netzkosten für Engpassmanagement und Redispatch aufgebracht werden. Diese Kosten werden auf den Verbraucher umgelegt.
- Steuern und Abgaben: Die Förderung der Energiewende und die Stabilisierung des Stromnetzes sind kostspielig, weshalb die Umlagen im deutschen Strompreis eine bedeutende Rolle spielen.
Netzentgelte und die „Nicht-Kupferplatte“-Kosten
Das Stromnetz in Deutschland ist in mehrere regionale Übertragungsnetze unterteilt, die von verschiedenen Netzbetreibern geführt werden. Der Bedarf, Strom von windreichen Regionen im Norden in die Verbrauchszentren im Süden zu transportieren, führt zu Belastungen, die das Netz an seine Grenzen bringen. Hierdurch entstehen Kosten, die nichts mit dem Preis an der Börse zu tun haben, sondern durch die physikalischen Gegebenheiten des Netzes entstehen.
Redispatch ist eine solche Maßnahme: Um Netzüberlastungen zu vermeiden, wird die Einspeisung von Kraftwerken angepasst, was zusätzliche Kosten verursacht. Diese Redispatch-Kosten sind notwendige Aufwendungen, um die Netzstabilität zu gewährleisten und werden auf die Netzentgelte aufgeschlagen. Sie sind jedoch kein Bestandteil des Spotmarktpreises, sondern ein Zusatz, den die Endverbraucher tragen müssen.
Diese „Nicht-Kupferplatte“-Kosten sind somit ein wesentlicher Grund dafür, dass der Strompreis für Endkunden deutlich höher ist als der Preis, der an der Börse gehandelt wird.
Dynamische Stromtarife und ihre Grenzen
Mit der Einführung dynamischer Stromtarife haben Haushalte die Möglichkeit, auf die Schwankungen des Börsenpreises zu reagieren und zu Zeiten niedriger Preise Strom zu verbrauchen. Dies klingt zunächst attraktiv, da Verbraucher theoretisch von den günstigen Stunden am Spotmarkt profitieren könnten. In der Praxis zeigen sich jedoch einige Herausforderungen:
- Zusätzliche Netzentgelte: Die Netzentgelte werden auch bei dynamischen Tarifen erhoben und sind unabhängig vom aktuellen Börsenpreis. Selbst wenn der Spotmarktpreis zeitweise niedrig ist, fallen weiterhin diese Kosten an.
- Timing und Flexibilität: Um von günstigen Preisen zu profitieren, müssen Haushalte ihren Stromverbrauch an die günstigeren Zeiten anpassen. Das setzt Flexibilität voraus, die nicht alle Verbraucher haben.
- Zusätzliche Abgaben und Umlagen: Auch bei dynamischen Tarifen müssen alle Umlagen und Steuern bezahlt werden, was die potenziellen Einsparungen begrenzt.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass auch Haushalte mit dynamischen Tarifen meist deutlich mehr zahlen als den reinen Börsenpreis. Die zusätzlichen Kosten für das Netz und die Abgaben heben die Einsparungen auf, die der dynamische Preis an der Börse ermöglichen könnte.
Warum der Strompreis mehr als der Börsenpreis ist
Der Endpreis für Strom in Deutschland spiegelt also weit mehr wider als nur den Preis, der an der Börse gehandelt wird. Während die Börse theoretisch ein Modell für eine marktwirtschaftliche Preisfindung darstellt, entstehen in der Realität zusätzliche Kosten durch die physikalische Beschaffenheit des Netzes, politische Vorgaben und die Regulierung der Energiewende. Diese Faktoren addieren sich auf den Börsenpreis und führen zu einem deutlich höheren Endpreis.
- Marktpreis (Börsenpreis): Der Preis, zu dem Strom an der EPEX Spot gehandelt wird, bildet die Grundlage.
- Transport- und Netzkosten: Diese umfassen sowohl den Betrieb als auch die Kosten für Redispatch und andere netzstabilisierende Maßnahmen.
- Politische Abgaben: Die Förderung der erneuerbaren Energien, Stromsteuer und weitere Abgaben erhöhen den Preis zusätzlich.
Die Hypothese, dass der Strompreis vor allem durch den Börsenpreis bestimmt wird, trifft also nur teilweise zu. Zwar spielt der Börsenpreis eine Rolle, doch die zusätzlichen Kosten für das Netz und die politische Steuerung führen dazu, dass Endverbraucher deutlich mehr zahlen.
Der wahre Strompreis
Der Strompreis, den deutsche Verbraucher zahlen, ist weit mehr als der bloße Marktpreis an der Börse. Die Idee der „Kupferplatte“ funktioniert in der Praxis nicht, da physikalische und infrastrukturelle Faktoren dies unmöglich machen. Dies führt dazu, dass auch Haushalte mit dynamischen Stromtarifen nicht die vollen Einsparungen nutzen können, die der Spotmarkt bieten könnte.
Für die Zukunft stellt sich die Frage, ob und wie die Struktur des Strompreises reformiert werden kann. Angesichts der Herausforderungen der Energiewende und des Netzausbaus ist dies keine einfache Aufgabe. Doch ein besseres Verständnis der Komponenten und Kosten im Strompreis kann helfen, die Debatte um die Energiekosten in Deutschland differenzierter zu führen und die Verbraucher bewusster zu informieren.
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